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Die Geschichte der Anna Waser (German Edition)

Die Geschichte der Anna Waser (German Edition)

Titel: Die Geschichte der Anna Waser (German Edition)
Autoren: Maria Waser
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uns alle.“
    Auch Maria nickte beifällig, nur die Amtmännin sah besorgt drein: „Soweit fort wolltest du? Und die große Reis’, wie man das bloß machen müßt?“
    Aber Anna beruhigte sie: „Für alles hat sie gesorgt, die vielgute Frau, und daß ich mich am End des Monats einer Bekanntin von ihr anschließen kann, die den nämlichen Weg hat; da schaut selbst!“ und sie gab der Mutter den Brief.
    Aber auch jetzt noch blieb diese gedrückt: „Ja, wann es nur nicht grad an dem Unglückstag gekommen wär!“
    Anna sah sie betroffen an, dann lächelte sie wehmütig: „Weil es heut der Zwanzigste ist, meint Ihr? Sollte der Tag, der mir einstmalen ein trügerisches Glück gebracht und es hernach wieder genommen, mir nicht nun auch das rechte bringen können? Und hat mir nicht heut schon ein schöner Traum wahrgesagt? Denn schaut, so ich nun diesem Rufe folgen darf und meinem alten großen Wunsch, nicht anders wird es sein, als ob mir Flügel wüchsen, große, silberweiße, darmit ich fliegen kann, nicht allein durch den blauen Raum, sondern bis an die goldigen Sterne.“
    Sie sah fernhin, mit einem sonderbarlichen Leuchten der großgeöffneten Augen, daß die andern sie betrachten mußten, Lisabeth mit einer stillen Freudigkeit, aber Maria forschend und mit durchdringendem Ernst. Doch die Amtmännin seufzte: „Nun wohl, so es Gottes Wille ist; aber mit dem Bruder solltest noch reden, ehe du zusagst, mit dem Rudolf.“
    „Das will ich, Mutter.“ Anna erhob sich, und es war wie ein Jubel in der Stimme. „Heut noch will ich zu ihm hinaus; es darf nicht Nacht werden, ehe er mein Glück erfährt.“
    Dann verließ sie rasch das Zimmer.
    Drüben in ihrer Stube setzte sie sich in des Vaters Stuhl und las den Brief wieder und wieder, und aus den geliebten, langentbehrten Zügen kamen sie Erinnerungen an, mächtig, überwältigend, daß sie sich wieder in Braunfels vermeinte, in den hohen Räumen mit den tiefgrundigen Bildern auf ernsten Wänden und den Ausblicken weithin über das sanftgewellte Land und das rauschende Gipfelmeer des unabsehbaren Waldes, daß sie wiederum die schmelzende Musik vernahm und der Marquise kluge anfeuernde Worte und daß sie allen Drang, alle Hoffnung und unbändige Zukunftsfreudigkeit des jungen Herzens wieder zu verspüren meinte, und die Freude kam über sie wie ein Taumel: Das alles nicht verloren, nicht dahin, nun kam es erst! Und alles erschien ihr wie eine wunderbare Fügung, und daß gerade jenes Maienbild, das, anders als alles, was sie früher geschaffen, nach langem Ringen wie eine kostbare Blüte aus der schwersten Zeit ihres Lebens herausgewachsen war, ihr nun das Glück brachte! Sie sprang auf und durchmaß mit freudigen Schritten ihr Zimmer und breitete die Arme aus, als ob sie etwas hätte umfangen wollen und ans Herz pressen, das nicht da war und das sie doch fühlte in jedem bebenden Nerv.
    Da fiel ihr Blick auf Giulios Bildnis, das abseits, etwas im Schatten des großen Ofens hing. Einen Augenblick stutzte sie; dann trat sie herzu, nahm es rasch entschlossen vom Nagel und stellte es auf die Staffelei. Und im nächsten Augenblick stand sie auch schon mit Palette und Pinsel davor und zog mit fiebernden Händen all jene Linien, die sie in Gedanken schon tausendmal gezogen, und fügte jene Farben hinzu, die sie im Geist schon tausendmal aufgelegt hatte. Und langsam löste sich unter ihren schnellen Händen der verhüllende Schleier, die verweinten Augen erhielten Glanz, der verwaschne Mund Farbe, und als die kleine Glocke vom großen Münster her die Mittagsstunde verkündete, stand vor ihr ein klar vollendetes Mädchenbild, das jung und lebendig in die Welt blickte wie das Leben selbst.
    Wie erschöpft sank Anna in ihren Stuhl zurück. Ihre Hände bebten, und das Herz klopfte stürmisch, als ob sie etwas Absonderliches, Verbotenes getan hätte. Aber als sie nun das fertige Werk betrachtete, war ihr, als ob sie nicht allein dieses Bild, sondern auch sich selbst von einem bösen Bann befreit hätte, von jenem Verhängnis, das bis dahin über all ihrem Tun und Wollen gestanden hatte, daß ihr nirgends ein Vollenden beschieden war, nirgends eine verläßliche Richtung oder ein fortgesetzter und zielvoller Weg.
    Nun aber war es vorbei, und das Leben sah sie aus klaren und sichern Augen an, wie dieses erlöste Jugendbild.
    Im Frühnachmittag verließ Anna das Haus, nicht ohne einen zärtlichen, fast ein wenig übermütigen Abschied von den andern.
    „Wann’s mir recht wohl
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