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Die Germanin

Titel: Die Germanin
Autoren: Robert Gordian
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Ältere. Segimer sagt, dass ihn Tiberius sehr schätzt und dass er bald höher steigen wird. Dann wird er wohl einen Manipel befehligen oder sogar eine Kohorte. So weit hat es noch keiner unserer Männer gebracht.«
    »Was faselst du da, Schwachkopf?«, fuhr Segestes den Schwager an. »Manipel! Kohorte! Und der Sohn deiner Schwester, mein Sohn? Er wird Priester am Altar des Augustus in der Ubierstadt. Das ist wohl nichts, wie? Dazu braucht man Weisheit und Bildung und man wird in Geheimnisse eingeweiht. Habe ich Recht, Alter?«
    »Zweifellos«, antwortete der Grieche beflissen.
    »Nur wer die höchste Gunst genießt, bringt es zu einer solchen Vertrauensstellung. Was ist dagegen einer, der einen Haufen roher Chatten und Hermunduren befehligt, wenn auch unter römischen Feldzeichen!«
    Segestes erhob sich ächzend und trat hinaus auf den Vorplatz der Höhle. Er hakte die Daumen hinter den Gürtel und blickte mit finsterer Miene auf die vom Sonnenlicht beschienene Landschaft.
    »So ist das also«, sagte er nach einer Weile wie zu sich selbst. »Wer verstünde das nicht? Schlau ist dieser Segimer, schlau war er schon, als er die beiden hergab, obwohl sie noch Kinder waren. Er will herrschen, sich alle Cheruskergaue Untertan machen… und vielleicht noch viel mehr. Irgendwann werden die Römer hier einen von uns als Statthalter oder vielleicht sogar als König einsetzen, so wie sie es da unten im Osten, in Judäa, getan haben. Wen werden sie wählen? Er bringt seine Söhne mit, römische Offiziere, sie sollen an seiner Seite stehen, wenn er die neuen Verträge beeidet. ›Da seht ihr, auf wen ihr bauen könnt, in eurer Provinz Germanien. Auf mich! Und meine Nachfolger stehen auch schon bereit.‹ Dass ihn Donars Hammer zerschmettere! Aber ich muss ihn begrüßen.«
    Er senkte die Stirn, als ginge es in einen Kampf, und begann, den steilen Pfad hinabzusteigen.
    »Vater!«, rief Nelda. »Darf ich mitkommen?«
    »Nein!«, war die schroffe Antwort.
    »Warum nicht? Du hast doch gesagt, auch ich soll die Gäste begrüßen.«
    »Diese nicht!«
    Er drehte sich noch einmal um und sagte zu Priscus: »Das Gedicht, du weißt schon, nimm es noch einmal mit ihr durch. Damit sie Ehre für mich einlegt.«
    Der Alte erhob sich und wollte zum Zeichen seines Gehorsams eine Verbeugung machen, aber Segestes war schon hinter den Büschen am Höhleneingang verschwunden. Brun beeilte sich, ihm zu folgen.
    »Damit sie Ehre für mich einlegt.«
    Nelda wiederholte die Worte schmollend.
    Plötzlich sprang sie auf, stampfte mit dem Fuß auf und ballte die Fäuste.
    »Ich hab aber keine Lust dazu.«
    »Wenn es dein Vater, unser Herr, doch aber so wünscht«, sagte der Grieche mit einem besänftigenden Lächeln.
    »Er will, dass ich einen Römer heirate. Er will mich loswerden und in die Fremde schicken.« Sie stürzte neben ihm auf die Knie und brach in Tränen aus. »Ach, Priscus, mein guter, guter Priscus, ich will noch nicht heiraten. Auch Kinder will ich nicht bekommen.«
    »Nun, nun, beruhige dich.« Der Alte strich ihr über das Haar. »Du bist ja noch viel zu jung, das hat Zeit.«

 
3
     
    Im Laufe der Jahre hatte sich zwischen Nelda und dem greisen Lehrer ein vertrautes, fast liebevolles Verhältnis entwickelt. Segestes hatte den Griechen vor geraumer Zeit von einer Reise an den Rhenus mitgebracht, damit er seinen Sohn Segimund unterrichtete. Nelda, damals erst acht oder neun Jahre alt, hatte anfangs manchmal neugierig zugehört. Es war nicht üblich, dass Mädchen irgendetwas lernten, was sie nicht als Hausfrauen brauchen würden. Bald aber hielt auch sie eine Schreibtafel und einen Griffel in den Händen und ritzte lateinische Buchstaben in das Wachs. Alsbald stellte sich heraus, dass sie, obwohl einige Jahre jünger, vieles schneller begriff als ihr bemühter, aber schwerfälliger Bruder. Es fiel ihr leichter, Verse auswendig zu lernen und eine Geschichte, die der Lehrer erzählte, am nächsten Tag wiederzugeben. Während Segimund gehorsam und gleichgültig seine Aufgaben machte und nach dem Unterricht rasch verschwand, um Vögel und Fische zu fangen, wich seine Schwester dem alten Griechen meist nicht von der Seite und stellte ihm Fragen. Das freute ihn und er war gern bereit, seine Schätze vor ihr auszubreiten. Nelda wurde nicht müde zu lauschen und wollte alles über Herakles und Deianeira, Orpheus und Eurydike, Medea und Jason, Helena und Paris, Hektor, Kassandra, Orestes, Elektra, Odysseus, Penelope, die Zauberin Kirke und die
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