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Die Germanin

Titel: Die Germanin
Autoren: Robert Gordian
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Felsboden hockend, einen alten Mann, den Vortrag mit leisen, rollenden Basstönen begleitend.
    Diesen Morgen hatte Nelda allein hier oben verbracht, ein wenig gesungen, ein wenig geträumt und auf Priscus gewartet, der ihr versprochen hatte, zu kommen.
    Da war plötzlich ihr Vater erschienen.
    Es war das erste Mal, dass er sie aufsuchte, seit sie diesen Platz für sich entdeckt hatte. Sie hatte die Augen geschlossen und gedöst und schrie auf, als er plötzlich hochragend, die Sonne verdeckend vor ihr stand.
    Er hockte sich neben sie, legte den Arm um ihre Schultern, küsste sie auf die Stirn und beruhigte sie.
    In letzter Zeit behandelte sie der Vater sehr aufmerksam. War sie früher tagelang kaum für ihn vorhanden gewesen, rief er sie jetzt oft mehrmals am Tage zu sich und unterhielt sich mit ihr. Sie sprachen Lateinisch und er ließ sich erzählen, was sie gelernt hatte. Vorsichtig fragte er sie aus und versuchte herauszubekommen, ob vielleicht einer der Jungmannen aus seiner Gefolgschaft ein Auge auf sie geworfen und dreiste Reden geführt hatte. Dass sie sich in die Höhle zurückzog, gefiel ihm zunächst überhaupt nicht; er befürchtete, es könnte ihr jemand nachschleichen. Kein Zweifel, er sah mit Wohlgefallen, wie der Schmetterling aus der Larve kroch. Von einem seiner häufigen Besuche in der Ubierstadt brachte er ihr ein Geschenk mit: eine runde Scheibe aus poliertem Metall, in der sie sich sehen konnte. Bis dahin hatte sie sich immer über den Brunnen oder den Teich am Fuß des Hügels beugen müssen, wenn sie ihr Bild betrachten wollte. Sie spürte auch, dass ihr der Vater mit Blicken folgte, wenn sie Wasser holen ging oder das Federvieh fütterte. Einmal rutschte sie auf einem Kuhfladen aus und fiel so unglücklich, dass sich ihr kurzes Röckchen bis zum Nabel verschob. Er sah es und ordnete an, sie habe von nun an Röcke zu tragen, die bis ans Knie reichten und sich darunter mit einem Lendentuch zu verhüllen. Das Tuch war lästig, aber sie fügte sich. Von den kurzen Röcken trennte sie sich jedoch nicht, und als er sie an sein Verbot erinnerte, lachte sie und sagte, als Großmutter werde sie es befolgen. Das fand er komisch und lachte mit, Großmütter gab es kaum, so alt wurden die wenigsten Frauen. Sie konnte sich solche Scherze mit ihm erlauben, denn es entging ihr nicht, wie wertvoll und wichtig sie ihm geworden war. Obwohl sie sich dem heiratsfähigen Alter näherte, durfte sich keiner der jungen Cherusker Hoffnungen auf sie machen. Als sich bei einem Festgelage ein wohlhabender Mann nach zwei Bechern Met ein Herz fasste und den Vorschlag machte, Nelda mit seinem Sohn zu verheiraten, war die Antwort ein Faustschlag ins Gesicht.
    Segestes war nicht mit leeren Händen zur Höhle heraufgekommen. Er öffnete den Lederbeutel am Gürtel und zog einen schmalen goldenen Stirnreif hervor, der mit bunten Steinen besetzt war. Den drückte er Nelda aufs Haar, das ebenso dick und gewellt wie das seine war, nur länger und viel heller. Er trat zurück, betrachtete sie von allen Seiten und lächelte zufrieden. Nelda sprang in die Höhle, wo sie in einer Nische unter Blättern ihre Metallscheibe verwahrte. Zurückgekehrt ins Sonnenlicht, blickte sie lange hinein, lächelte, spitzte die Lippen, zog die Augenbrauen hoch, runzelte aber schließlich die Stirn, nahm den Reif herunter und sagte:
    »Behalt ihn. Dafür bin ich nicht schön genug.«
    »Nun, ich verwahre ihn für dich, Tochter«, sagte Segestes und steckte den Reif wieder in seinen Beutel. »Bald wirst du dich damit schmücken. Sehr bald!«
    Dann begann er, weit ausholend, von seiner ersten Begegnung mit den Römern zu erzählen. Erklärte, warum er sich von Anfang an nicht dem Widerstand angeschlossen hatte. Sprach von einer blutigen Schlacht und dem Zug der Römer zum Albis. Und kam schließlich auf jene Nacht zu sprechen, ganz in der Nähe im römischen Lager, auf die Begegnung von Tod und Geburt und auf das Ahnen und Irren der Seherinnen.
    So erfuhr Nelda, weshalb er heraufgekommen war.
    Jetzt lag sie auf Knien neben dem alten Lehrer und weinte.
    »Priscus, hilf mir… ich will nicht heiraten… ich will keinen Römer.«
    Er strich ihr besänftigend über das Haar, bis sie sich beruhigt hatte.
    »Wir wollen deinem Vater gehorchen«, sagte er dann mit einer Geste, die sein Verständnis, aber auch seine Machtlosigkeit ausdrückte. »Lass uns das Gedicht wiederholen. Ich weiß, es gefällt dir nicht. Aber denke immer daran, dass es ein großer Dichter
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