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Die Germanin

Titel: Die Germanin
Autoren: Robert Gordian
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geschrieben hat, Horatius Flaccus, einer der größten. Beginnen wir! ›Wie könnte der Väter…‹«
    Nelda erhob sich und wischte die letzten Tränen mit dem Handrücken von den Wangen.
    Dann seufzte sie tief und fuhr fort:
    »›… wie des Quiritenvolkes
    Bemühen mit Ehrengaben, selbst noch so groß,
    auf Stein und in Annalenlisten
    je deine Größe, Augustus, künden
    der Ewigkeit, du höchster der Herrscher all,
    so weit…‹«
    Sie stockte. Priscus glaubte, ihr weiterhelfen zu müssen.
    »›So weit bewohnten Küsten die Sonne strahlt…‹«
    »Ach, es ist langweilig«, sagte sie stirnrunzelnd. »Ich verstehe es überhaupt nicht! Ich will es nicht lernen! Wieso ist dieser Horatius Flaccus ein großer Dichter? Weil er tote Worte aneinanderreiht?«
    »Die toten Worte schrieb er, um leben zu können«, antwortete der Alte mit einem schmerzlichen Lächeln.
    »Das verstehe ich auch nicht.«
    »Wie solltest du, Kind? Dazu hast du noch nicht genug Erfahrung gesammelt. Aber ich versichere dir noch einmal, es gab bis heute nur wenige, die so wie er jeden Gedanken, jede Empfindung, überhaupt alles, was die Menschen bewegt, in herrlichen Versen ausdrücken konnten. Ob Liebe, Freundschaft, Treue oder auch Untreue, Eifersucht, Neid… er kannte alles und konnte es in Worte fassen. Ach, mein Gedächtnis! Ich sollte dir etwas von ihm vortragen, das er zum Preise des Lebens schrieb. Aber mir fällt nur ein Gedicht über den Tod ein. So fängt es an:
    ›Bewahre Gleichmut im Missgeschick,
    So wie in guten Tagen dein Herz du dir
    Von übermütiger Freude freihieltest.
    Greift ja gewiss auch nach dir der Tod einst…‹
    Und es endet so:
    ›Zu einem Ziele zwingt es uns alle hin,
    ob früh, ob spät, für jeden entfällt dem Topf
    beim Schütteln einst das Los und lädt zu
    ewiger Verbannung uns in den Nachen.‹«
    Der Alte schwieg und blickte zu den Hügeln hinüber, über denen weiße Wolken träge dahin zogen.
    »Das ist schön«, sagte Nelda. »Aber was heißt das: ›… zu ewiger Verbannung in den Nachen‹?«
    »Damit ist der Nachen Charons gemeint, des Fährmanns der Unterwelt, der die Verstorbenen ins Totenreich bringt. Siehst du, so erinnert der Dichter an das Schicksal, das jeden ereilt, auch den Caesar Augustus, den er pflichtgemäß rühmen muss. Er sagt ihm damit: Magst du noch so stolz auf deine Taten sein und mag man dich mit göttlichen Ehren überhäufen, so bist du doch nur ein sterbliches Wesen wie wir alle. Vielleicht hat sich der Dichter, als er das Lied zum Ruhme des Caesar Augustus und des Tiberius schrieb, im Stillen über die eigenen Jubelverse und die, an die sie gerichtet waren, lustig gemacht. Wie einfältig seid ihr doch, weil ihr begierig seid nach solchen hohl tönenden, toten Worten, die euch doch am Ende nichts nützen werden. Nun, du kannst dich ja, wenn du die Verse vorträgst, im Stillen auch ein bisschen darüber lustig machen. Aber jetzt müssen wir sie wiederholen.«

 
4
     
    Tiberius kam mit großer Verspätung, erst Anfang September des Jahres 757 ab urbe condita, in die Cheruskergaue.
    Ende Juni war er vom Caesar Augustus an Sohnes Statt angenommen worden, nachdem er selbst zuvor auf Wunsch des Prinzeps den ältesten Sohn seines verstorbenen Bruders Drusus, Gaius Nero Claudius mit dem Beinamen Germanicus, adoptiert hatte.
    Das Ereignis war pomphaft gefeiert worden.
    Der sechsundvierzigjährige Tiberius, kein Freund von Festen und Lustbarkeiten, war froh, dass endlich, endlich alles vorüber war. Als er nun nach elf Jahren, ausgestattet mit umfassender Vollmacht wieder den Oberbefehl am Rhenus übernommen hatte, wusste er aus eigener Erfahrung und aus den Berichten, die ihn ständig erreichten, was ihn dort erwartete. Er war in Eile, denn für militärische Unternehmungen in Germanien war die Jahreszeit schon weit vorgeschritten.
    Mitte Juli traf er bei den Legionen ein und stieß gleich auf mehrere Stämme am Grenzstrom in heller Empörung – die Canninefaten, die Attuarier, die Brukterer. Sie waren freilich der römischen Übermacht unter einem so ausgezeichneten und erfahrenen Feldherrn nicht gewachsen und ergaben sich schnell. Tiberius rückte an der Lupia vor und ließ die Kastelle längs des Flusses, die die Aufständischen überfallen und teilweise zerstört hatten, wieder aufbauen.
    In Aliso, dem größten Lager auf der germanischen Seite des Rhenus, rastete er längere Zeit, um auf Verstärkung für den geplanten Zug über den Visurgis zu warten. Von hier aus erreichte
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