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Die Germanin

Titel: Die Germanin
Autoren: Robert Gordian
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gesagt!«, wies ihn Segestes zurecht. »Mische dich nicht in meine Angelegenheiten.«
    »Anerkennen musst du es«, sagte Brun vorwurfsvoll. »Es hat ja schon Nahrung aufgenommen. Hat an der Mutterbrust getrunken.«
    »Ich werde kommen!«, fuhr Segestes ihn an, ärgerlich über die Zurechtweisung. »Es wird früh genug sein. Jetzt kann ich hier nicht fort.«
    »Wie weit ist es denn bis zu deinem Anwesen?«, fragte eine Stimme im schummrigen Hintergrund des Raumes.
    »Zwei Meilen«, erwiderte Segestes, ohne sich nach dem Sprecher umzudrehen.
    »Dann geh nur und heb deine Tochter auf. Vielleicht wird sie später einmal einen Römer heiraten. So etwas wünschen wir uns doch für die Zukunft.«
    In diesem Augenblick wichen schon alle zurück, denn es war Tiberius selbst, der gesprochen hatte.
    Er war unbemerkt hereingekommen.
    Er trat in die Mitte und stand eine Weile schweigend da, sehr groß und hoch aufgerichtet, den Kopf ein wenig gesenkt, die Augen fast geschlossen. Die Männer starrten auf das kantige Kinn, die scharfe Nase, das tief in den Nacken wachsende blonde Haar des Dreiunddreißigjährigen. Sie sahen, wie sich der Kehlkopf auf und ab bewegte im Kampf gegen ein Schluchzen, das hervorbrechen wollte.
    Schließlich gelang es Tiberius, die Tränen zu unterdrücken und seiner Stimme so viel Festigkeit zu geben, dass er wie ein Feldherr sprechen konnte, der seine Anordnungen trifft.
    »Mein Bruder ist tot«, sagte er. »Das Römische Reich und die Menschheit haben einen schweren Verlust erlitten. Man wird seine Asche zum Rhenus tragen. Von dort wird sie nach Italien gebracht, damit Drusus an der Seite seiner Ahnen bestattet werden kann.«

 
2
     
    »In jener Nacht erfuhr ich also, dass Seherinnen nicht unfehlbar sind. Die eine erkannte die Wahrheit – sie sagte den Tod des Drusus voraus. Die andere irrte sich. Sie verhieß mir einen Sohn und ich bekam eine Tochter. Glücklich war ich darüber nicht, das gebe ich zu, denn ich beneidete Segimer um seine Söhne. Inzwischen bin ich sehr froh darüber. Denn du, mein Töchterchen, bist mir wertvoller, als es ein Sohn sein könnte. Du willst deinem Vater doch gern gehorchen und ihm Freude bereiten?«
    »Oh ja! Das will ich!«
    Segestes saß mit seiner Tochter im Schatten am Eingang einer Höhle. Diese befand sich an der steilen Rückwand des Hügels, auf dem der Wehrhof lag. Von hier aus konnten sie weit ins Land blicken, über bewaldete Anhöhen, abgeerntete Felder und die Weiler des Cheruskergaus. Es war ein heißer Tag im Juli, und der kleine Vorplatz der Höhle lag im grellen Sonnenlicht. Segestes, die Ellbogen auf den spitzen Knien, hockte auf dem Boden, zupfte an seinem Bart, sprach langsam, bedächtig, jedes Wort wägend. Seine Tochter, im kurzen Wollröckchen, kauerte mit angezogenen Beinen an der gegenüberliegenden Wand, die Augen weit offen – gespannt, verwirrt.
    Zum ersten Mal in ihrem Leben führte der Vater ein langes Gespräch mit ihr.
    »So war es damals«, fuhr er fort, »und seitdem halte ich nicht mehr so viel von den Seherinnen, die vielleicht nur durch Zufall die Wahrheit treffen. Ich verlasse mich lieber auf meine Erfahrung und meinen Verstand. Und auch auf mein gutes Gedächtnis. In jener Nacht – ich meine also die Nacht, in der du geboren wurdest, vor dreizehn Jahren – da wurde mir noch etwas anderes vorhergesagt… etwas, das ich gern hörte. In Erfüllung gegangen ist es noch nicht, doch nur, weil die Zeit dazu noch nicht reif ist. Das kann sich aber bald ändern… sehr bald, in den nächsten Tagen schon. Ob es tatsächlich in Erfüllung geht, wird von dir abhängen, Töchterchen. Meine Nelda wird alles dafür tun, hoffe ich, dass diese schöne Vorhersage eintrifft.«
    »Ich werde tun, was ich vermag, Vater«, sagte sie leise. »Aber was ist es?«
    »Ich erkläre es dir. Du warst also gerade geboren, als sich bereits ein großer Mann Gedanken über deine Zukunft machte. Und weißt du, wer das war? Kein Geringerer als Tiberius Claudius Nero, von dem heute alle sagen, dass er dem alten Caesar Augustus bald nachfolgen wird. Als er erfuhr, dass ich eine Tochter bekommen hatte, sprach er: ›Behüte sie, ziehe sie auf und sorge dafür, dass sie eine gute Bildung erhält, denn sie wird einmal einen Römer heiraten.‹ Genau das waren seine Worte. Nun weißt du, was dir bestimmt ist.«
    »Ich soll heiraten? Einen Römer?«, fragte sie betroffen, wobei sie sich mit einer raschen Bewegung eine blonde Haarsträhne aus dem Gesicht
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