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Die Germanin

Titel: Die Germanin
Autoren: Robert Gordian
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Gefolgsmann hatte das gefüllte Trinkhorn gebracht und entfernte sich.
    Der Semnonenhäuptling setzte es Nelda selbst an den Mund und ehe sie sich wehren konnte, hatte er ihr so viel eingeflößt, dass sie sich verschluckte, hustete und sich auf einem Stein niederlassen musste. Er trank den Rest und hängte das Trinkhorn wieder an seinen Gürtel.
    »So sind wir also umsonst gekommen«, seufzte er dann und verzog sein zerstörtes Gesicht zu einer tieftraurigen Grimasse. »Und da dachten wir, diesmal sind wir uns einig und werden mit denen, die unserm Bündnis nicht beitreten wollen, rasch fertig. Alles vergebens, alles verloren! Wenn uns Arminius nicht führt… wer sonst? Ohne ihn fällt alles auseinander. Sie beißen sich wie tolle Hunde und jeder will etwas anderes. Ich habe gleich Befehl zum Abmarsch gegeben. Worauf warten? Dass er sich wieder erholt? Die dort wissen noch nicht, warum wir heimkehren. Ich sage es ihnen erst, wenn wir weit genug fort sind. Sonst machen sie noch kehrt und fallen über die Mörder her…«
    »Die Mörder, sagst du?«, rief Nelda.
    »Nun, ich meine diejenigen, die es getan haben. Vielleicht war es aber auch nur einer. Viele glauben… aber wozu… man weiß nichts, es war ja niemand dabei…«
    »Sag mir jetzt, wie ich zu ihm komme und wo ich ihn finde!«
    Die letzten Sonnenstrahlen erloschen gerade, als Nelda und Ukro die leicht gewellte, sich scheinbar endlos dehnende Uferwiese des Albis erreichten, die ihnen der Semnone als Ort des Cheruskerlagers bezeichnet hatte. Es hatte zeitweilig wieder geregnet und auf den verschlammten, schlüpfrigen Wegen waren sie genötigt gewesen, die Pferde zumeist am Zügel zu führen. Es hatte Nelda, die nach ihrer Krankheit noch schwach war, die letzte Willensanstrengung gekostet, den ganzen Tag zu reiten und zu marschieren. Doch jedes Mal, wenn sie glaubte, am Ende ihrer Kräfte zu sein, nicht weiter zu können und sich ausruhen zu müssen, hatte sie der Gedanke, sie könnte zu spät kommen, wie eine tödliche Drohung vorwärts getrieben.
    Auf den ersten Blick war festzustellen, dass sich das Heerlager auf der Wiese in Auflösung befand. Es standen nur noch wenige Zelte. Die zahlreichen rasch aus Flechtwerk errichteten, mit Schilf gedeckten Hütten waren zum Teil schon verlassen und zusammengebrochen. Hier und da sah man Feuer, an denen gekocht wurde. Die Männer, die Pferde, die Hunde, die sich zwischen den Zelten und Hütten bewegten, verloren sich fast im weiten Gelände. Etwas abseits, nicht weit von der Uferböschung in einer Erdmulde, lagen drei nackte Leichname, auf denen sich ein Krähenschwarm niedergelassen hatte. Eine der Hütten brannte, dicker Qualm waberte mit dem Wind herüber.
    Sie hielten auf eines der größeren Zelte zu. Dort saßen einige Männer reglos und stumm, wie versteinert um ein Feuer, über dem ein Kessel hing. Zwei Knechte standen am Eingang des Zeltes. Als sich die beiden Reiter näherten, steckten sie die Köpfe zusammen und flüsterten.
    »Herrin!«, rief einer.
    Nelda erkannte ihn gleich. Es war der kleine Boier, der ihr seinerzeit die verhängnisvolle Botschaft ihres Bruders überbracht hatte. Er stürzte herbei und half ihr vom Pferd.
    Jetzt regten sich auch die stummen Männer am Feuer und sahen sie an. Doch keiner zeigte Überraschung. Die schmale Frau mit dem wirren grauen Haar, in der schäbigen Bauerntracht war ihnen fremd.
    »Ist er da drinnen?«, fragte Nelda den Knecht. »Lebt er?«
    Sie wartete die Antwort nicht ab und trat in das Zelt.
    Wie anders hatte sie sich dieses Wiedersehen vorgestellt… Nicht heiter, nicht stürmisch, nicht voller überströmender Freude – nur als einen kurzen erhabenen, glücklichen Augenblick, der sie entschädigen würde für die Trübsal der endlosen Jahre in Gefangenschaft. Doch als es nun so weit war, blickten sie im Halbdunkel des Zeltes nur zwei weit geöffnete helle Augen an, die sie nicht wahrnahmen. Kaum noch merklich hob sich beim Atmen die Brust des Sterbenden auf dem Strohlager, die mit einem blutdurchtränkten Tuch umwunden war. Strähnen des langen Haars lagen wirr auf dem dunklen, kantigen Gesicht. Nelda kniete nieder, beugte sich vor und strich sie beiseite. Ihre Hand fuhr sanft über die Stirn mit der schrägen Falte und der langen, tief eingegrabenen Hiebnarbe.
    »Ich bin da«, sagte sie und küsste den Mund, aus dem kurze unregelmäßige Atemstöße kamen. »Ich bin bei dir.«
    Sie ergriff die Hand, die auf dem Grasboden des Zeltes lag, und drückte
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