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Die Germanin

Titel: Die Germanin
Autoren: Robert Gordian
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Männer trugen Steine herbei und häuften sie zu einem Hügel über der Grube mit der noch rauchenden Asche. Nelda wich erst vom Grab, als sich der letzte feine Rauchfaden, der zwischen den Steinen hervorkroch, kräuselnd im Sonnenschein aufgelöst hatte. Die weniger als hundert Männer, die noch zur Bestattung geblieben waren, rüsteten hinter ihr zum Aufbruch oder waren bereits unterwegs.
    Sie schloss sich mit Ukro den Heerhaufen an, die in die Cheruskergebiete jenseits des Visurgis zurückkehrten. Tammo und seine Gefolgschaft erklärten sich zu Umwegen bereit, damit sie die beiden Herrenhöfe besuchen konnte – den einen, in dem sie aufgewachsen und der jetzt nur noch eine Ruine war, und den anderen, in dem sie als junge Frau eine kurze glückliche Zeit erlebt hatte. Sie verzichtete, denn sie fühlte sich immer noch schwach und den Lasten nicht gewachsen, die sich bei einer Rückkehr an jene Orte auf ihr Gemüt legen würden. Sie hatte es auch eilig, nach Mogontiacum zurückzukehren. Als Tammo nach einigem Zögern mit dem Vorschlag herauskam, sie könne aus dem heimlichen Besuch doch eine gelungene Flucht machen, in der alten, befreiten Heimat bleiben und einen geachteten, edlen Cherusker, einen Gaufürsten, heiraten, wobei er als gerade einsamer Mann an sich selbst dachte, wies sie ihn freundlich, aber bestimmt zurück. Sie hatte ihrem römischen Freund und Gönner in jener hinterlassenen Botschaft mit größter Bestimmtheit die Rückkehr versprochen. Und wie sollte sie irgendwo ohne ihr Kind leben?
    Dann war sie wieder mit Ukro allein. Bei ruhigem Spätherbstwetter brachte er sie, indem er sie als seine ältere Schwester ausgab, ohne Mühe durch die Dörfer der Chatten, seiner Stammesgenossen. Unterwegs fasste er den Entschluss, Dienst beim römischen Militär zu nehmen. Das Gebiet der Mattiaker erreichten sie Anfang November und Ukro meldete sich gleich im Kastell auf der germanischen Seite des Rhenus. Sie umarmten sich zum Abschied vor dem Lagertor und mit Hilfe des Geldes, das man ihr aus dem spärlichen, von Dieben übersehenen Nachlass des Heerführers übergeben hatte, verwandelte sich Nelda wieder in einen männlichen römischen Sklaven. So überschritt sie die Brücke nach Mogontiacum.
    Gaius Sempronius hatte auf sie gewartet und obwohl sie viel länger ferngeblieben war, als sie vorausgesagt hatte, machte er ihr keine Vorwürfe. Er war erleichtert und empfing sie, als sie ihn endlich gefunden hatte, beinahe herzlich. Im Dezember war sie wieder in Rom und konnte Thumelicus in die Arme schließen. Dort hatte sich inzwischen ihre Lage verbessert. Die Nachricht vom Tode des Arminius war ihr vorausgeeilt, sie hatte nun keinen Wert mehr für die Politik des Imperiums. Da sie überdies dreißig Jahre alt war und damit das nötige Alter erreicht hatte, konnten die Sempronier ihre Freilassung erwirken. Das Kind des Staatsfeindes allerdings blieb Sklave.
     
    So lebte sie weiter in der Fremde, in einer freiwilligen Gefangenschaft. Dem Sohn galt die ganze Sorge und Zärtlichkeit der Mutter. Was ihr sonst noch widerfuhr, vielleicht der Umzug in eine andere Stadt, vielleicht sogar eine Heirat, mochte für den Rest ihrer Tage durchaus von Belang sein. Was aber schön und groß und bedeutsam war in ihrem Leben, lag hinter ihr. Vielleicht verlief alles nicht so wie erzählt, sondern ganz anders, doch so könnte es gewesen sein.
    Der römische Geschichtsschreiber Tacitus deutet an, Thumelicus habe später ein schweres Schicksal erlitten, was wohl heißt, dass er wie sein Vater ein gewaltsames Ende fand. Tacitus wollte darüber ausführlich berichten und tat es wohl auch, leider in dem Teil seines Werkes, der im Staub der Jahrhunderte versank und unwiederbringlich verloren ist.

 
Glossar
    ab urbe condita (lat.) » seit Gründung der Stadt « (753 v. Chr.) – römische Zeitrechnung. Die erwähnten Jahreszahlen in moderner Zeitrechnung:
    744 a.u.c. = 9 v. Chr.; 757 a.u.c. = 4 n. Chr.; 762 a.u.c. = 9 n. Chr.
     
    Adrana       Lat. Name der Eder
     
    Agrippina die Ältere       (14 v. Chr. – 33 n. Chr.), Tochter des Feldherrn Agrippa und der Augustustochter Julia, Frau des Germanicus, Mutter des späteren Kaisers Caligula
     
    Albis       Lat. Name der Elbe
     
    Ale       Reitereinheit im römischen Heer
     
    Alkibiades       Berühmter Politiker und Feldherr Athens (5. Jh. v. Chr.)
     
    Amsivarier       Westgermanischer Stamm ( » Ems-Leute « )
     
    Arminius       (18 v.
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