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Die geprügelte Generation

Die geprügelte Generation

Titel: Die geprügelte Generation
Autoren: Ingrid Müller-Münch
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für eine Übertretung, ein Widerwort Prügel zu beziehen. Selbst wenn die Gegenwart hierzu keinerlei Anlass mehr bietet.« Häufig sind das seiner Erfahrungnach Menschen, die ihre Gefühle gut wegstecken, »sich äußerlich gut anpassen können. Das war ja das, was in den 50er/60er Jahren beim Wiederaufbau gebraucht wurde.«
    Der Nachteil an diesem Verhalten ist, dass ein Mensch, so Hofmann, »zum leben eines erfüllten Lebens einen Teil der Affekte benötigt, die diese Generation wegbunkern musste. Viele dieser Patienten haben das Gefühl, ich funktioniere gut, aber ich spüre bestimmte Seiten meines Lebens nicht. Und das liegt eben unter anderem daran, dass sie in den Phasen, wo sie emotional und körperlich Gewalt erlebt haben, die Gefühle, die genau zum Erleben eines normalen Alltagslebens und einer vollen Spannbreite des Lebens notwendig sind, einfach hinten weggebunkert, wegdissoziiert haben. Ich denke, da sind einfach systematische Erziehungsfehler gemacht worden.«
    In einem ihrer letzten Interviews machte Alice Miller im Herbst 2009 ihre Position noch einmal deutlich:
     
    Ich spreche von Kindesmisshandlung […], wo das Kind nicht respektiert, erniedrigt, verwirrt, betrogen und sexuell missbraucht wird. In all diesen Fällen wird mir übrigens kaum widersprochen. Hingegen gelingt es mir oft nicht, Menschen zu informieren, dass das Schlagen der Kinder eine folgenschwere Misshandlung ist, weil dies seit Jahrtausenden praktiziert […] und als Erziehung zum Besten des Kindes bezeichnet wird. Fast alle heute lebenden Eltern wurden als Kind geschlagen und mussten leider sehr früh von ihren Eltern lernen, dass diese Praxis als harmlos und richtig anzusehen ist. […] Die Kinder von heute sind die Bürger von morgen. Sie durften sich gegen die Angriffe ihrer Eltern nicht wehren, waren hilflos, mussten ihren Zorn tief unterdrücken, um weitere Strafen zu vermeiden, aber sobald sie erwachsen werden, meldet sich dieser Zorn und richtet sich vor allem gegen die eigenen Kinder, aber auch gegen andere Menschen, die man straflos als Sündenböcke benutzen kann.

16. Kapitel
NOCH WIRD HEUTE GESCHLAGEN?
    Eine Schmerz verursachende Güte
    Auf die Frage eines Journalisten danach, ob er seinen später so berühmten Sohn Michael mit Rute und Gürtel geschlagen habe, antwortete Joseph Jackson: »Geschlagen habe ich nie mit Rute und Gürtel. Gepeitscht habe ich ihn damit! Schlagen tut man jemandem mit einem Stock, aber nicht mit Rute und Gürtel.«
     
    Die einst von Martin Luther propagierte Schmerz verursachende Güte im Umgang mit Kindern hat sich über die Jahrhunderte hinweg gehalten. Sie ist auch heute längst nicht ausgestorben. Was aus Kindern wird, die mit Gewalt und Psychoterror groß werden, hat dieses Buch gezeigt. Wie sehr diese Erfahrung ein ganzes Leben prägen kann, wurde deutlich. Doch geht es überhaupt anders? Können Kinder auch ohne Ohrfeigen und Stubenarrest heranwachsen? Müssen Eltern sie nicht ab und zu zur Raison bringen, ihnen durch einen Klaps auf den Po, ein paar Watschen um die Ohren zeigen, wer das Sagen hat und wo es langgeht im Leben?
     
    Nein, das müssen sie nicht. Selbstverständlich geht es auch anders. Das habe ich im Umgang mit meinem eigenen Kind erlebt. Aber auch mit meinen Freundinnen und Freunden, die allesamt bestrebt waren, es anders als ihre Eltern zu machen. Ihre Kinder zu verstehen, sich in sie einzufühlen. Wer dies berücksichtige, der – so bestätigte mir Ulf Preuss-Lausitz – »kann sein Kind selbstverständlich gewaltfrei erziehen.« Der Erziehungswissenschaftler wies in unserem Gespräch darauf hin, dass inzwischen in vielen Familien Kinder liebevoll behütet und ohne Prügel aufwüchsen.Auch wenn manche Elternpaare noch immer »unglücklicherweise psychische Formen der Verletzung praktizieren. Die sehen dann zum Beispiel so aus, dass die Mutter sagt, ich fühle mich ganz schlecht. Du machst mich unglücklich. Du bist schuld, dass ich leide, wenn du dich so und so verhältst. Da kriegt das Kind natürlich ein schlechtes Gewissen«.
    Einfühlungsvermögen und das Gespräch mit dem Kind scheinen die besten Voraussetzungen dafür, Gewalt in der Erziehung zu vermeiden. Darin waren sich alle Experten, die ich für dieses Buch befragte, einig. Nur leider wird dies noch immer nicht überall so gehandhabt. Warum sonst müssen in Deutschland jede Woche zwei Kinder an den Folgen von Misshandlungen sterben?
    Nach Angaben des Bundeskriminalamtes (BKA) stieg die Zahl der
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