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Die geprügelte Generation

Die geprügelte Generation

Titel: Die geprügelte Generation
Autoren: Ingrid Müller-Münch
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Forschungsinstituts Niedersachsen haben 16,6 % der befragten Menschen, die nie Opfer von Gewalt geworden sind, von eigenen Gewalttaten berichtet. Von denen, die geohrfeigt worden sind, waren dies schon 22 %. Von den schwer Gezüchtigten 30 %. Noch massiver sind, so Pfeiffer während unseres Gesprächs, die Auswirkungen bei Mehrfachtätern. »Bei Jugendlichen, die mindestens fünf Gewalttaten im letzten Jahr begangen haben, waren 4,3 %, die nie irgendwelche Gewalt in der Familie erfahren haben, 14,7 %, die in Kindheit und Jugend massiver Elterngewalt ausgesetzt waren. Das ist der dreifache Wert.«
    »Am Ende sehen sie, dass die Zuwendung keine Rolle mehr spielt. Egal, wie liebevoll die Eltern sein mögen: Wenn sie ihre Kinder häufig misshandelten, kann das durch nichts mehr ausgeglichen werden. Wenn wir dann fragen: Wie viel Taten hast du begangen und setzen den Wert der glücklichen Kinder, die nie geschlagen und liebevoll erzogen wurden, mit 1, dann haben wir 5,1 mal so viel Delikte, die im letzten Jahr begangen wurden durch die massiv geschlagenen, wenig geliebten Kinder«, so Pfeiffer.
    Studien seines Instituts in Hannover haben darüber hinaus ergeben, »dass mit steigender Intensität elterlicher Gewalt die Fähigkeit drastisch abnimmt, bei Konflikten konstruktiv zu reagieren.Demgegenüber nimmt die Gewaltbefürwortung bei der Lösung von Konflikten ebenso drastisch zu. Derjenige, der in hohem Maße familiärer Gewalt ausgesetzt war, schlägt zum Beispiel bei einem Rempler auf der Treppe sofort zu, ohne zu gucken, ob der überhaupt böse gemeint war oder womöglich aus Versehen passierte.« 45
    Bezeichnend findet Pfeiffer in dem Zusammenhang eine Untersuchung, die er mir gegenüber als Beleg anführt: Jüdische Organisationen in Amerika haben 1980 wissen wollen, was die Menschen auszeichnete, die im »Dritten Reich« Juden versteckt haben: 400 lebten noch, die man in Deutschland, den Niederlanden, Frankreich oder Norwegen aufspürte. Sie alle hatten ihr Leben riskiert, um Juden vor dem Zugriff der Deutschen zu verstecken und damit ein hohes Maß an Zivilcourage bewiesen. »Es waren Atheisten darunter, Katholiken und Protestanten, so dass sich bei der Religion keine Unterschiede ergaben«, interpretiert Pfeiffer das Ergebnis. »Große Unterschiede bestanden aber beim sozialen Status, bei Intelligenz und Herkunft. Jedoch gab es eine Gemeinsamkeit über alle Nationen: Gewaltlose Erziehung zeichnete die Menschen aus, die sich so couragiert verhalten haben. Gewaltlose Erziehung fördert den aufrechten Gang.«
    Die Wut frisst an einem selbst
    Manch ein als Kind geprügelter Erwachsener zum Beispiel schädigt sich selbst. Richtet die Wut, die Aggression, die in ihm lauert, die in ihn hineingeprügelt wurde, nicht nach außen, sondern gegen die eigene Person. Betäubt sie mit Drogen, verletzt sich seelisch und körperlich. In ihrem Buch »Am Anfang war Erziehung« hat die Schweizer Psychoanalytikerin Alice Miller unter anderem am Beispiel von Christiane F., dem durch eine Reportage im »Stern« bekannt gewordenen Mädchen vom Bahnhof Zoo, dargestellt, wie eng Drogensucht und ein gescheitertes Leben mitfrühkindlich erfahrener Gewalt zusammenhängen können. Wie sich das eine aus dem anderen ergeben kann.
    Christiane wurde auf dem Land geboren, hatte später mit ihrer Familie lange Zeit in der Berliner Hochhaussiedlung Gropiusstadt gelebt. Ihr Vater schlug sie oft, dabei wusste sie schon im voraus, »wann es gleich passierte: Er holte den Handfeger aus der Küche und drosch auf mir herum.« Das war des Vaters besondere Art, mit ihr Schularbeiten zu machen. Einmal sollte sie ins Rechenheft Häuser malen. Sie wusste genau, wie sie das machen sollte, hatte einen Plan, setzte sich an den Tisch. Doch plötzlich tauchte ihr Vater auf, erkundigte sich, von wo bis wohin denn so ein Häuschen gezeichnet werden sollte. Doch da war Christiane F. schon völlig verkrampft. »Vor lauter Angst zählte ich die Kästchen nicht mehr, sondern fing an zu raten. Immer, wenn ich auf ein falsches Kästchen zeigte, bekam ich eine geklebt. Als ich nur noch heulte und überhaupt keine Antwort mehr geben konnte, da ging er zum Gummibaum. Ich wusste schon, was das bedeutete. Er zog den Bambusstock, der den Gummibaum hielt, aus dem Blumentopf. Dann drosch er mit dem Bambusstock auf meinen Hintern, bis man buchstäblich die Haut abziehen konnte.«
    Doch nicht nur die Hausaufgaben wurden für Christiane F. zu einem Martyrium. Auch wenn sie beim Essen
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