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Die geprügelte Generation

Die geprügelte Generation

Titel: Die geprügelte Generation
Autoren: Ingrid Müller-Münch
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Studie über die Terroristen nur bedingt übertragbar. Denn kaum jemand, der als Kind misshandelt wurde, wird so enden wie diese Menschen. Die meisten der einst mit familiärer Gewalt konfrontierten Kinder haben gute Selbstheilungskräfte. Es gibt offenbar keinen Automatismus, der da heißt: Gewalt erzeugt Gegengewalt.
    Nicht jeder der geprügelt wurde, schlägt zurück. Doch wer zurückschlägt, wurde meist als Kind geprügelt.
    »Eine Wahrscheinlichkeit besteht, dass, wenn ich Gewalt erfahren habe, ich dies auch weiter gebe. Aber das muss nicht so sein«, bestätigte mir Erziehungswissenschaftler Ulf Preuss-Lausitz. Auch Traumatherapeut Arne Hofmann ging in unserem Gespräch davon aus, dass zwar die meisten Menschen, die als Kind schwer geschlagen wurden, nicht ebenfalls zum Täter werden. Aber andererseits ist »in ganz vielen Fällen der Mensch, der prügelt, der missbraucht, der gewalttätig wird, selber jemand, der einschlägig belastet ist. Wenn es ernst wird, wenn es um Stress geht, um die Bewältigung von Stress, um Lebensgefahr, um erlebten maximalen Druck, dann klinkt die Vernunft sich bei vielen Leuten aus. Wir nennen das Impuls-Kontrollstörung. Und dann fangen die Leute auf eine nicht vernünftige, irrationale Weise an, die Muster, die sie erlebt haben, nachzuvollziehen. Und wenn sie geprügelt worden sind, prügeln sie und bauen auf diese Weise Stress ab oder versuchen es wenigstens. Und das sind ganz, ganz häufig unglückliche tragische Konstellationen.«
    Laut einer Studie von Kai-D. Bussmann, im Auftrag des Bundesjustizministeriums 2005 erstellt, weisen »Jugendliche, die mit viel Gewalt in der Erziehung aufwachsen, dreimal häufiger und gravierender eigene Gewaltaktivität auf. Insgesamt bedeutet dies, jeder dritte Jugendliche, der aus einem gewaltbelasteten Elternhaus stammt, berichtet über eigene leichte Tätlichkeiten und jedervierte bzw. fünfte über gravierende Übergriffe wie ›mit der Faust geschlagen‹ oder ›jemanden verprügelt‹ zu haben […] Außerdem sind diese jugendlichen Gewalttäter zugleich häufiger Opfer von Gewalt.« 44
    Hofmann bestätigt Bussmanns Studie, spricht von einer regelrechten »Wutstörung«, die vor allem bei männlichen Prügelopfern auftreten kann. Hierbei bezieht er sich auf Untersuchungen in Gefängnissen, in denen etwa die Hälfte der Insassen eigene Gewalterfahrungen haben. »Ein Teil dieser Menschen hat sich innerlich zu folgender Position entschieden: Die Menschen gehen so schlecht mit mir um, jetzt ist mir auch egal, welche Regeln die sich geben. Ich geb mir meine eigenen Regeln.« Und das sind die Regeln der Gewalttätigkeit, die sie von klein auf kennen.
    Schläge machen dumm
    Schläge, die man in der Kindheit verabreicht bekam, können aber auch andere verheerende Folgen haben. »Wir können feststellen, je mehr geprügelt wird, umso schlechter fallen die Schulnoten aus«, so der Kriminologe Christian Pfeiffer. Prügelstrafe schlägt bei Kindern allem Anschein nach auf die Intelligenz. Dies ergab auch eine US-Studie mit 1 500 Kindern, die Welt-Online im September 2009 veröffentlichte. Danach entwickeln sich geprügelte Kinder langsamer und haben einen niedrigeren Intelligenzquotienten als ihre Altersgenossen. Als Ursache für die geringere Intelligenz sahen die Forscher der Universität von New Hampshire die Tatsache, dass Kinder bei körperlicher Bestrafung viel Stress empfinden. Werden Kinder regelmäßig geschlagen, begünstige das sogar einen chronischen Stresszustand, der teilweise über Jahre andauere. Die Forschung zeige, dass dieser Stress auch posttraumatische Stresssymptome wie übertriebene Angst vor schrecklichen Ereignissen oder leichtes Erschrecken auslösen könne, die die Entwicklung der Intelligenz beeinflussten.
    »Insbesondere Mädchen erlernen dadurch die Opferrolle. Haben damit ein drastisch höheres Risiko, wenn sie in der Kindheit geprügelt worden sind, später an einen Partner zu geraten, der sie seinerseits schlagen wird«, so Christian Pfeiffer. In ihrem 2010 erschienenen Buch »Seelische Trümmer« zitiert die Psychotherapeutin Bettina Alberti Statistiken über Gewaltverhalten und Gewaltkriminalität, die zeigen, dass 26 Prozent ehemals kindlicher Opfer von Gewalt zu Tätern werden und als Erwachsene der Gefahr ausgesetzt sind, eigene Erfahrungen mit Misshandlungen an ihre Kinder weiterzugeben.
    Eine Einschätzung, die Pfeiffer bestätigt. In einer Untersuchung des von ihm geleiteten Kriminologischen
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