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Die Geometrie der Wolken

Die Geometrie der Wolken

Titel: Die Geometrie der Wolken
Autoren: Giles Foden
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Dann müssen wir noch mal zurück und der Besatzung die neuen Messgeräte runterwerfen. Da will man wirklich nicht, dass die Deutschen einen bei so einem Manöver überraschen. Ziemlicher Aufwand für ein kaputtes Barometer. Ich versteh nicht so recht, warum wir die zum Reparieren mitnehmen müssen, anstatt dass sie die alten einfach über Bord schmeißen.«
    Der Grund dafür war, dass diese Instrumente sehr teuer und aufwendig herzustellen waren, aber man konnte von einem Piloten nicht erwarten, dass er das verstand. Es gab oft Spannungen zwischen den Fliegern und uns Meteorologen, besonders auf den entfernteren Stationen. Die Piloten brauchten gute Informationen von uns, und oft wurden sie ziemlich unhöflich, wenn sie die nicht bekamen oder eine Wettervorhersage sich als falsch herausstellte. Die Frage der Autorität wurde auch noch dadurch verkompliziert, dass manche Meteorologen die Uniform der Royal Air Force trugen und andere nicht, je nach Art der Operation, in der sie arbeiteten.
    Ich war gerade zum Technical Officer befördert worden, das war allerdings ein Dienstgrad des Meteorological Office, nicht der RAF. Noch in der Woche davor, vor Sir Peters Eingriff in mein Leben, war ich ein bescheidener meteorologischer Assistent gewesen, ein Zeichner synoptischer Karten, ein Wetterballon-Fuzzi für £ 110 im Jahr (£ 6 Einkommensteuer) .
    Ich war auf einem seltsamen Weg zur Meteorologie gekommen, denn nur wenige praktische Meteorologen waren Akademiker. Ich hatte im Cavendish Laboratory in Cambridge gearbeitet, und ich war recht jung dorthin gekommen. Ich hatte 1938 im Alter von zweiundzwanzig Jahren meinen Doktor gemacht. Meine Doktorarbeit handelte von der Strömungslehre und konzentrierte sich auf Turbulenz und andere komplexe Aspekte von Strömungen oder »dynamischen Systemen«. In der Kontinuumsmechanik hat man oft mit so etwas zu tun - es geht dort um alles, was ständig in Bewegung ist, um Dinge, die schwer zu messen sind, weil sie einfach nicht stillhalten.
    In Ermangelung einer festen Freundin hatte ich mich als Student in die Turbulenz verliebt. Das ist eigentlich nur die Lehre von Wirbeln und Strudeln, insbesondere von denen, die in verschiedenen Größenordnungen die Atmosphäre ausmachen, in der wir alle leben. Die Strömungslehre hält auch in direkter Weise den Schlüssel zu unserem Leben, denn ihre Regeln bestimmen den Fluss von Blut und Chemikalien durch die Schleusen und Wehre unseres Körpers und unseres Gehirns. Ich lauschte, wie die Luft sanft über das Flugzeug strich und mit einem Heulen an den Flügeln vorbeiströmte, das trotz des
Whuff-whuff-whuff
der Motoren deutlich zu hören war. Aus einem intensiven, bläulich schimmernden Weiß wirbelten Schneeflocken von der Nase her hoch. Ab und an gelangten wir durch die endlos wechselvolle Luft in Bereiche noch stärkerer Veränderung. Turbulenzrinnen, wie Schlaglöcher in einer Straße einer afrikanischen Stadt - an der vielleicht ein Bettler aus den schmutzsteifen Falten seines Hemdes die Hand nach ein paar Münzen hervorstreckt.
    Das sind die einzigen Menschen, für die ich noch Zeit habe, seit G. verschwunden ist, jene Millionen in Afrika, für die Overlord keine Bedeutung hatte, für die die Generäle damals und fast jeder Politiker seitdem kaum einen Blick übrig hatten.
    G. Ich kann nicht einmal den Namen schreiben. Allein der Gedanke jagt mir einen empfindlich scharfen Stich ins Herz.
    Während wir weiter nach Norden flogen, sah ich zu, wie die weißen Flocken auf die Cockpitscheibe klatschten. Ihre Formen, nur einen Moment lang wahrnehmbar, vermischten sich mit meinen Gedanken, die kamen und gingen. Es war, als würde beides von einem Wind getragen, der keinen Stillstand zuließ. Alles schwoll an und verteilte sich wieder, wiederholte sich und doch nicht - denn während jeder Gedanke und jede Schneeflocke unterschiedlich waren und ihre eigene Identität hatten, wurden sie doch alle im gleichen Medium unberechenbarer Veränderung davongetragen.
    Krieg - auch der veränderte alles. Die gemütliche Welt des Cambridge der Rosinenbrötchen und des guten Tons fing an zu bröckeln und sich aufzulösen. Man konnte ja nicht einfach auf seiner Bank im Labor sitzen bleiben. Ich sah eine Ausschreibung für eine Ausbildungsstelle beim Meteorological Office, und da ich meinem Land mit meinen besten Fähigkeiten dienen wollte, bewarb ich mich.
    Ich wurde angenommen und zur Zentralen Wettervorhersagestelle nach Dunstable geschickt. Dort lernte ich
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