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Die Geliebte des Malers

Die Geliebte des Malers

Titel: Die Geliebte des Malers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Roberts
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angeordnet, hatte sie ihr Haar offen gelassen und nur so wenig Make-up aufgelegt, dass man es kaum sah. Noch immer nicht hatte sie sich entschieden, ob sie für den seltsamen, aber auch faszinierenden Mann, den sie im Nebel getroffen hatte, wirklich Modell sitzen würde. Doch immerhin war ihre Neugier geweckt, und so wollte sie zumindest zur verabredeten Zeit bei ihm auftauchen. Die Anschrift hatte sie fein säuberlich in ihr Adressbuch übertragen und dieses wiederum in ihrer Handtasche verstaut.
    Cassidy erwischte die Straßenbahn, die sie ins Stadtzentrum brachte. Sie war mehr als erstaunt gewesen, denn so viel sie wusste, handelte es sich bei der hingekritzelten Adresse um eine sehr exklusive Gegend. Eigentlich hatte sie erwartet, dass ihr Maler sein Atelier in der Nähe ihrer Wohnung, in North Beach, haben würde. Seit Jahren schon lebten dort die Schriftsteller, Musiker und Künstler, die diesem Teil der Stadt jene lockere Atmosphäre verliehen, die viel eher der Boheme entsprach. Im Stillen fragte sie sich, ob ihr Maler wohl einen reichen Mäzen hatte, der ihm in dieser teuren Gegend ein Atelier finanzierte. Dabei hatte er so gar nicht ihrer Vorstellung von einem Künstler entsprochen – zumindest, so verbesserte sie sich in Gedanken, bis sie seine Hände gesehen hatte. Wenn ihre Erinnerung sie nicht täuschte, dann waren es die schönsten Hände, die ihr je untergekommen waren. Lang und schmal, mit schlanken, kraftvollen Fingern. Knochig, ohne mager zu wirken. Empfindsame Hände. Und starke Hände, fügte sie noch hinzu, als sie sich daran erinnerte, wie sich seine Finger auf ihrer Haut angefühlt hatten.
    Und sein Gesicht … Irgendetwas an seinem Gesicht kam ihr bekannt vor, doch sie wusste wirklich nicht, wo sie es schon einmal gesehen haben könnte. Es war ein sehr markantes, einzigartiges Gesicht, eines, das man nicht so leicht vergaß. Wäre sie Malerin, würde sie ihn sicherlich sofort zeichnen wollen. Da waren die betonten Züge, die ausgeprägten Knochen, die Schatten, die Geheimnisse – und vor allem dieses ungewöhnliche Blau seiner Augen.
    Das Bimmeln der Straßenbahn riss Cassidy aus ihren Träumereien. Sie hob das Gesicht in den leichten Fahrtwind. Wie dumm von mir, schalt sie sich. Sie hatte nicht einmal nach seinem Namen gefragt! Stattdessen war sie von seinem Gesicht besessen. Dabei sollte der Maler doch von ihrem Gesicht besessen sein, nicht umgekehrt.
    Sie sprang von der Straßenbahn ab und trat auf den Bürgersteig. Sie hatte sich nicht geirrt: Es handelte sich wirklich um eine exklusive Gegend. Sie hob den Blick und suchte nach den Hausnummern.
    Wie nahezu überall in der Stadt, zeigte sich auch hier eine bestrickende Mischung aus dem Exotischen und dem Kosmopolitischen, dem Romantischen und dem Praktischen. Die zwei Gesichter von San Francisco waren hier ebenso deutlich zu erkennen wie in den Stadtteilen Chinatown oder Telegraph Hill. Das Altbewährte und das Revolutionäre verschmolzen hier zu einer faszinierenden Einheit. Das Bimmeln der altmodischen Tram hallte Cassidy noch in den Ohren, als sie an den modernen Wolkenkratzern hochblickte.
    Der Tag war trocken und warm, und Cassidy genoss das schöne Wetter, während sie ihren Gedanken freien Lauf ließ. Prompt wanderten sie zu ihrem Roman zurück, der zu Hause auf dem Schreibtisch lag. Cassidy zwang sich, ihre Aufmerksamkeit wieder auf die Gegenwart zu lenken, als sie vor der angegebenen Adresse ankam. Sie runzelte verdutzt die Stirn.
    The Gallery. Cassidy kontrollierte noch einmal die Hausnummer, um sich zu versichern, dass sie vor dem richtigen Haus stand. Die Falte zwischen ihren Brauen wurde tiefer. Sie war erst vor ein paar Monaten hier gewesen, und an die Eröffnung der Galerie vor fünf Jahren konnte sie sich auch noch gut erinnern. The Gallery hatte sich im Laufe der Jahre einen beneidenswerten Ruf erarbeitet: Sie galt als einer der gefragtesten Ausstellungsorte des Landes. Eine Ausstellung in The Gallery bedeutete für einen emporstrebenden Künstler den Durchbruch, für einen bereits etablierten eine prächtige Feder an seinem Hut. Sammler und Kenner kamen regelmäßig hierher, um zu bewundern, zu suchen und zu kaufen, zu kritisieren oder einfach nur, um gesehen zu werden. Wie so oft in dieser Stadt, gingen auch hier Eleganz und Unkonventionalität die perfekte Symbiose ein. Die Architektur des Gebäudes war schlicht, fast bescheiden. Von außen würde man nie vermuten, welch unvergleichlicher Schatz sich hinter diesen

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