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Die Gegenpäpstin

Titel: Die Gegenpäpstin
Autoren: Aufbau
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unbedingt wissen sollte.«

|23| 2.
62 n.Chr. – Das Evangelium nach Jaakov
    Er konnte sie bereits sehen, bevor ihre Silhouette am Horizont auftauchte. Wie eine Vision erschien ihm ihr Antlitz, jung
     und schön, entschlossen und auf eine faszinierende Art weise und wissend. Sein Herz schlug wie ein Hammer, seit jeher, wenn
     er dieses Gesicht vor sich sah, und er hatte immer Angst gehabt, daß jemand es hören könnte. Das Geheimnis seiner Liebe hatte
     er indes längst nicht vor jedem verbergen können. Sie war und blieb aber die Frau seines Bruders. »Sie liebt dich, Jaakov,
     so wie sie mich liebt«, hatte sein Bruder immer wieder lächelnd bemerkt. »Das sollte dir Trost spenden.«
    Schmal und gebrechlich saß sie auf einer Eselin, geführt von einem Knaben, der unsicher einen Fuß vor den anderen setzte.
     Die Hitze des Tages flimmerte von weitem wie ein ferner, glitzernder Fluß.
    Ein Engel hatte ihm ihre Ankunft angekündigt. Anders konnte es nicht sein, daß er die ganze lange Nacht von ihr geträumt und
     sie selig in seinen Armen gehalten hatte. Einsam wie ein Eremit lebte er von Zeit zu Zeit in einer Hütte, und dann wieder
     stürzte er sich in den Trubel der Stadt, doch nie würde ihn in Gedanken diese Frau verlassen.
    »Ich habe gewußt, daß du eines Tages zu mir kommst«, sagte er, als sie schließlich vor ihm stand. Alt war sie geworden, das
     lockige Haar unter dem silberdurchwirkten Schleier so grau wie die Asche im Ofen. Doch ihre Augen, ein Feuer aus Bernstein,
     loderten wie eh und je, als sie das durchscheinende Tuch lüftete, und ihr Lachen erschien ihm so jung und befreiend wie zu
     jener Zeit, als sie noch jung gewesen waren.
    »Laß dich umarmen, Schwager«, sagte sie und stellte sich auf ihre Zehenspitzen, um dem alten Hünen, der er nun einmal |24| war, ihre Arme um den Hals zu legen und ihn an sich zu drücken.
    Er spürte ihren warmen, zarten Körper, den Duft nach Moschus und Ambra, und alle Dämme brachen. Weinend preßte er sie an sich,
     so fest, als wolle er sie nie wieder loslassen.
    Leise schnalzte sie mit der Zunge und tätschelte seinen breiten Rücken, jedoch es dauerte eine Weile, bis er sich gefaßt hatte
     und sie und den staunenden Jungen in seine bescheidene Behausung bitten konnte.
    »Wo sind die anderen?« fragte sie, während sie ihren staubigen Mantel ablegte und den Krug mit Wasser entgegennahm, den sie
     mit dem Jungen teilte.
    »Sie sind tot oder fort, verstreut in alle vier Winde.« Er goß Wasser in eine flache Schüssel und begann ihre Füße zu waschen,
     die sie immer noch mit Henna bemalte und mit silbernem Geschmeide schmückte, wie eine Braut, die auf ihren Geliebten wartete.
     »Bis auf Joachanan, der mich zur Zeit in Jeruschalajim vertritt ... Ich bin allein zurückgeblieben, um unser Geheimnis zu
     hüten, für den Fall, daß wir uns wieder verstecken müssen.«
    Langsam, auf einem Bein balancierend, während ihre Hand in seinem weißen Schopf Halt suchte, schaute sie sich um. Das Innere
     der Hütte war karg, der Boden lediglich mit Schilfmatten ausgelegt. Darauf standen ein Tisch, ein Lager, mehrere Körbe und
     Kisten mit Vorräten und Kleidern. Nichts deutete darauf hin, daß hier der Zugang zu einem Ort verborgen lag, der an Größe
     und Pracht einer kleinen Stadt glich. Rundherum gab es keine Behausung in der felsigen Hügellandschaft außer der Hütte des
     Jaakov, und doch fanden unter ihrem Dach an die tausend Menschen Platz. Was wie ein Wunder anmutete, entsprang einer simplen
     Idee. Unter den steinernen Platten des Fußbodens befand sich der Zugang zu einer Höhle, die mit all ihren weitverzweigten
     Kammern und Winkeln halb so groß war wie das nahe gelegene Taricheae.
    |25| Jaakov folgte ihrem Blick, und ein Lächeln huschte über sein bärtiges Gesicht. »Mirjam«, sagte er, »ich kann kaum glauben,
     daß du wirklich hier bist. Setz dich! Du wirst müde sein von der langen Reise.«
    Er wußte nicht einmal, woher sie gekommen war. Gerüchten zufolge hatte sie lange Zeit in Ägypten verbracht. Später hieß es,
     sie sei zusammen mit seiner Mutter nach Ephesus ausgewandert. Mehr als zwanzig Jahre waren ins Land gegangen, seit er sie
     das letzte Mal zu Gesicht bekommen hatte. Unbeholfen legte er ein paar Schaffelle zurecht, damit sie es sich bequem machen
     konnte. Sein Blick fiel auf den Jungen, der unentschlossen neben ihr stand und mit verschleierten Pupillen zu ihm aufschaute.
    »Das ist Ilan«, sagte Mirjam und strich dem Knaben
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