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Die Gegenpäpstin

Titel: Die Gegenpäpstin
Autoren: Aufbau
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über seine Locken. »Seine Mutter hat ihn mir überantwortet, als sie hörte,
     daß ich zu dir reisen wollte. Obwohl er noch jung an Jahren ist, hat sich sein Augenlicht bereits getrübt. Ich soll dich bitten,
     ihm mit deiner Heilkunst zu helfen.«
    »Ich werde sehen, was ich tun kann«, murmelte Jaakov und trat auf den Jungen zu.
    Sein Daumen zitterte, als er dem Knaben die Lider hochzog, um zu ergründen, was die genaue Ursache seiner Krankheit sein konnte.
     Die Linse zeigte eine leichte Trübung.
    Jaakov nickte wissend. »Ruh dich aus, Junge«, sagte er. »Morgen ist auch noch ein Tag. Ich werde dir dein Augenlicht zurückgeben
     können.«
    Ilan senkte den Kopf und entgegnete ein »Dank Euch, hoher Herr«, wobei er Jaakov die schwielige Hand küßte. Dann ließ er sich
     artig nieder und tat es Mirjam nach, indem er sich in frischem Wasser, das Jaakov aufs neue in die Schüssel gegossen hatte,
     Hände und Füße wusch und sie mit einem groben Tuch aus Hanflinnen abtrocknete.
    »Ihr habt gewiß Hunger«, sagte Jaakov und holte aus einem geschlossenen Holzkasten ein paar Fladenbrote hervor. Dazu |26| reichte er in Olivenöl eingelegten Ziegenkäse, und zur Feier des Tages gab es sogar eine Karaffe mit Wein.
    Als er das Brot teilte, kehrten all die unseligen Erinnerungen zurück, die er an die letzten gemeinsamen Tage mit Mirjam und
     seinem über alles geliebten Bruder Jeschua in sich trug.
    »Sag, wie geht es unserer Mutter?« fragte er, um sich abzulenken. »Lebt sie noch?«
    »Nein«, sagte Mirjam leise. »Ihre Seele mag unsterblich sein, aber ihr Fleisch folgte irdischen Gesetzen. Sie ist vor ein
     paar Jahren verstorben. Ich habe sie bis zuletzt gepflegt. Sie hat immerzu von ihren Söhnen gesprochen.«
    »Und was ist mit Sarah?« Seine Stimme barg eine zurückhaltende Vorsicht, denn er wußte nicht, was seine Frage genau bei Mirjam
     auslösen konnte.
    »Ich weiß es nicht«, erwiderte sie rauh. »Deshalb bin ich hier. Ich hoffte, du könntest mir etwas über meine Tochter berichten.«
    »Soweit ich gehört habe, ist sie in Sicherheit und ahnt allem Anschein nach nichts von ihrer wahren Herkunft«, erklärte er.
     »Ich habe stets gedacht, du hättest eine Verbindung zu ihr aufgenommen.«
    »Wie denn? Ich war froh, als ich sie bei einer frommen, unauffälligen Familie unterbringen konnte. Denkst du, es ist mir leichtgefallen,
     sie nicht behalten zu dürfen? Du weißt nur zu gut, Hannas I. und seine Verbündeten im Sanhedrin haben jeden verfolgt, der
     auch nur den Anschein gab, die Lehre Jeschuas verbreiten zu wollen. Und er machte ganz bestimmt nicht vor mir als dessen Weib
     halt. Wenn ein Mann sich in ihren Augen eines Vergehens schuldig macht, ist es schlimm; wenn das Gleiche von einer Frau vollbracht
     wird, ist es um ein Vielfaches schlimmer. Nein, Jaakov, du kannst dich heutzutage mit den Angehörigen des Sanhedrin verständigen,
     indem du ihnen vorgaukelst, daß du auf sie und ihre Vorstellungen eingehst, aber mir wäre das niemals möglich gewesen. Niemals
     hätten sie einer Frau erlaubt, die Lehre |27| Jeschuas zu verbreiten, schon gar nicht seiner eigenen. Aber
er
wollte, daß jeder, der seine Botschaft begriffen hat, hinausgeht und sie verkündet, gleichgültig, welchem Geschlecht er angehört.
     Es hätte ihm das Herz zerrissen, wenn ausgerechnet ich es gewesen wäre, die ihn und seine Mission verraten hätte.«
    Mirjam hielt einen Moment inne, und dann schnaubte sie verächtlich, und als sie Jaakov erneut ansah, kam es ihm vor wie eine
     Anklage, von der er selbst nicht ausgeschlossen war.
    Jeschua muß gewußt haben, daß alles so kommen wird, wollte Jaakov erwidern.
Er
kannte die Zukunft, bis ans Ende aller Tage. Statt dessen antwortete er mit einer gewissen Besorgnis in der Stimme: »Ich kann
     mich nicht erinnern, jemals soviel Haß in deiner Stimme gehört zu haben. Warst du nicht diejenige, die uns immer mit den Worten
     Jeschuas getröstet hat, in dem Glauben, daß alles seinen bestimmten Weg geht und der Vater im Himmel in seiner Weisheit nichts
     geschehen läßt, was er nicht selbst vorherbestimmt hat?«
    »Ja«, sagte sie, und ein fernes Lächeln umspielte ihre Lippen. »Du hast recht. Damals. Doch da war alles noch anders.« Sie
     tastete nach Jaakovs Hand und drückte sie. »Vielleicht habe auch ich ein Recht darauf, alt zu werden und ein wenig verbittert.
     Gebiete mir Einhalt, wenn es zu unerträglich für dich wird.«
    Jaakov lächelte müde und doch voller Verständnis.
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