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Die Gefährtin des Vaganten

Die Gefährtin des Vaganten

Titel: Die Gefährtin des Vaganten
Autoren: Andrea Schacht
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geräucherten Fisch vorfand. Agrez, das säuer­liche Fruchtgelee, war noch vor­rätig, und von der Decke im Vorratsraum holte sie ein Bündel getrockneter Kräuter – Dill und Minze hatten auch über den Winter ihre Würze gehalten. Im Mörser zerkleinerte sie sie mit einigen kräftigen Stößen. Dann öffnete sie einen Steinguttopf mit Butter und leerte ihn in eine Schüssel. Den Fisch, den sie kleingezupft hatte, gab sie dazu, streute Salz und gemörserte Kräuter darüber und verrührte alles, bis es eine gut streichbare Masse gab. Auf dem frischen Brot, das Elseken am Vormittag gebacken hatte, würde es eine sättigende Mahlzeit geben. Die besondere Würze musste der Tod des Herringsstetz und des Pfarrers liefern. Sie bedauerte, dass es noch so gar keine frischen Kräuter gab, aber die zarten Blättchen, die sich in den ersten Frühlingstagen aus dem Boden getraut hatten, wollte sie noch nicht opfern.
    »Was machst du denn hier?«, hörte sie Elsekens unangenehm scharfe Stimme fragen, als sie das Brot in Scheiben schnitt.
    »Deine Arbeit. Wir verdienen unser Geld nicht mit Schnattern, sondern damit, dass wir den Gästen eine Mahlzeit vorsetzen.«
    »Du kannst sie ihnen vorsetzen, ich bereite sie zu. Und allemal besser als du.«
    »Heute hast du nichts zubereitet, deswegen kannst du ihnen das hier vorsetzen.«
    »Den Teufel werd ich tun. Was hast du mit meinem Räucherfisch gemacht? Die gute Butter hast du verdorben.«
    »Wenn du meinst.« Ungerührt strich Laure das Rillette auf das geschnittene Brot, dick und duftend. Dann zerteilte sie noch ein Dutzend schrumpeliger Äpfel und legte sie in Scheiben darauf. Elseken zeterte weiter, klatschte aber den Sauerteig für den nächsten Tag auf den Tisch und begann, ihn mit energischen Bewegungen zu kneten.
    Laure nahm die beiden Körbe auf und brachte sie in die Gaststube. Hier brannte nun ein Feuer im Kamin, Goswin schenkte Bier und Apfelwein aus, und von den Gästen erklang ein beifälliges Gemurmel, als sie die Butterbrote anbot.
    »Ich bedaure, es war keine Zeit, eine deftige Suppe zuzubereiten. Mag Euch aber auch das Brot sättigen. Auch Käse und Pfannkuchen kann ich Euch noch anbieten.«
    »Ist schon recht, Frau Wirtin«, sagte einer und biss ­hungrig in das Brot, kaute, schmatzte und grunzte: »Verdamp gut!«
    Natürlich ging es lebhaft zu an diesem Abend, und Laure kam erst spät dazu, ihre Stube aufzusuchen. Sie schirmte das flackernde Handlicht ab und schaute nebenan in die kleine Kammer. Dort lagen Jan und Paitze tief schlummernd unter ihren Decken. Leise zog sie die Tür zu und setzte das Licht auf dem Tisch ab. Endlich kam sie dazu, ihre Tagesausbeute zu begutachten. Die Federkiele waren gut geworden, ordentlich spitz, nur so weit gehärtet, dass sie noch biegsam waren, die einen mit breiter Spitze, zwei mit einer ganz feinen, eine leicht angeschrägt. Zwar war sie müde von dem langen Tagwerk und den Aufregungen, dennoch öffnete sie ihre Truhe und holte das Büchlein heraus, in dem sie ihre Aufzeichnungen machte. Das erste dieser Art hatte ihr Kornel vor elf Jahren geschenkt. Seither hatten sich ein Dutzend dieser Bücher bei ihr angesammelt. Beinahe jeden Abend machte sie ihre Eintragungen. Schreiben hatte sie nie richtig gelernt, aber Zahlen waren ihr geläufig, und für die Monatsnamen hatte sie sich kleine Symbole ausgedacht. Für den Lenzmond hatte sie einen knospenden Zweig gewählt, und heute war sein zweiundzwanzigster Tag. Sie tauchte die Feder in das Tintenfässchen, und mit schnellen, sicheren Strichen warf sie das Bild des Herringsstetz auf die Seite – sein Totenantlitz, entstellt vom Strang. So würde sie sich immer erinnern, was an diesem Tag geschehen war. Auch von dem Amtmann warf sie eine flinke Skizze hin – er war das erste Mal in ihrem Gasthaus erschienen. Dann aber reinigte sie die Feder und legte sie in das Holzkästchen, in dem sie ihre Utensilien aufhob. Sie blätterte die letzte Seite um und besah sich die Bilder, die sie am Vortag angefertigt hatte. Über Elseken hatte sie sich wie üblich geärgert, daher zeigte die Zeichnung eine verbitterte, verkniffene Miene der Köchin, die nur zu deutlich machte, wie unzufrieden sie mit ihrem Los war. Die beiden Saufkumpanen von Goswin waren – wie so oft – auch gestern im Schankraum gewesen, ihre Blicke gierig auf die Würfel gerichtet, die Augen glasig vom Trunk. Laure hatte Angst vor ihnen, traute sich aber nicht, ihnen das Haus zu verbieten. Es waren rohe Gesellen,
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