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Die Gefährtin des Vaganten

Die Gefährtin des Vaganten

Titel: Die Gefährtin des Vaganten
Autoren: Andrea Schacht
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dort.
    Nein, er schwebte nicht.
    Er hing.
    An einem Strick.
    Ganz still hing er dort, das Gesicht grässlich verzogen.
    Der Gestank des Todes umgab ihn.
    »Oh, mein Gott«, würgte Laure heraus.
    Auf dem Absatz drehte sie sich um und eilte nach draußen.
    »Goswin!«, rief sie, und ihre Stimme überschlug sich. »Goswin!«
    »Was soll das Gekreisch?«, muffte sie der vierschrötige Mann an, der das geborstene Rad eines zweirädrigen Karrens musterte.
    Laure biss sich auf die Lippen und versuchte, ihre zitternden Hände unter der Schürze zu verbergen. Er hatte recht, Gekreisch half nicht weiter. Sie sammelte sich und brachte mit einigermaßen ruhiger Stimme vor: »Im Stall hat sich der Herringsstetz aufgehängt.«
    »Häh? Spinnst du?«
    »Nein, Goswin. Er baumelt an einem Strick von einem Balken. Ich weiß nicht, was ich machen soll.« Sie versuchte ihre Hände, die sich in die Schürze krallen wollten, ruhig zu halten, um die Schreibfedern nicht zu zerbrechen.
    Jetzt sah ihr Stiefsohn sie doch etwas irritiert an.
    »Geh hin und sieh selbst«, schlug sie vor.
    »Ähm … ja.«
    Doch bevor er sich in Richtung Remise in Bewegung setzen konnte, kam ein junger Bandkrämer mit seinem Maultier in den Hof geritten, sichtlich in Eile und aufgelöst.
    »Der Pfarrer von Merheim ist ermordet worden. Habt Ihr’s schon gehört? Neben dem Taufbecken erschlagen. Die Haushälterin hat den Amtmann von Porz gerufen. Hat sie.«
    Von dem Geschrei angelockt versammelten sich Mägde, Knechte, Gäste und auch Jan und Paitze, Laures Kinder, im Hof.
    Laure rief die beiden zu sich und legte schützend die Arme um sie.
    »Was ist passiert, Mama?«
    »Weiß ich noch nicht. Etwas Schreck­liches.«
    Fragen prasselten auf den Unglücksboten ein, doch Laures Gedanken kreisten um ihren eigenen Toten in der Stallung. Goswin schien den wieder völlig vergessen zu haben. Was nichts Neues für sie war. Der älteste Sohn ihres verstorbenen Mannes mochte ein guter Wagner sein, aber von hellem Witz war er nicht. Er war sechs Jahre älter als sie und weit davon entfernt, sie als Stiefmutter anzuerkennen. Das konnte sie ihm nicht übel nehmen, und so lange Kornel Rademacher noch gelebt hatte, hatte Goswin sie wenigstens mit mürrischem Respekt behandelt. Jetzt hingegen übersah er sie so weit wie möglich, und ihre Bitten schien er nur selten zu hören.
    Da also Goswin nicht zu helfen bereit war, schickte Laure erst einmal ihre Kinder zurück ins Haus und zupfte dann den ältesten Knecht am Ärmel.
    »Der Herringsstetz hängt in der Remise, Karl. Der muss runtergeholt werden.«
    »Was?«
    »Hat sich aufgehängt, glaube ich.«
    »Seid Ihr sicher, Herrin?«
    »Geh rein, und schau ihn mit eigenen Augen an.«
    Immerhin war der Alte williger, und gleich darauf kam er mit dem Toten über der Schulter aus der Stallung und legte ihn auf den Boden.
    Das Geschrei war groß.
    Laure zog sich in ihre Kammer zurück und versuchte, Jan und Paitze zu erklären, was geschehen war. Sie waren verständige Kinder, der Junge zwölf, das Mädchen elf Jahre alt. Was der Tod war, wussten sie, denn ihr Vater war vor fünf Jahren gestorben. Was sie nicht verstehen wollten, war, dass ein Mensch freiwillig seinem Leben ein Ende setzte.
    »Nein, das sollte man auch nicht tun, Paitze. Das ist eine Sünde wider Gott, der uns das Leben geschenkt hat.«
    »Vielleicht hat ihn ja ein anderer da aufgehängt«, wagte Jan zu spekulieren. »Weißt du, Mama, er war ziemlich zänkisch, der Herringsstetz. Und gestern hat er wieder mit dem Lucas Overrath einen Händel gehabt, sagt die Kathrin.«
    Laure seufzte noch einmal. Ihr Sohn sprach die Befürchtung aus, die sie auch hegte. In einem Wirtshaus kamen viele unterschied­liche Menschen zusammen, und es ließ sich nicht vermeiden, dass dann und wann ein heftiger Streit ausbrach. Meist aber endete es mit einer herzhaften Prügelei, die schlimmstenfalls Platzwunden, ausgeschlagene Zähne oder gebrochene Knochen zur Folge hatte. Jemanden an einem Strick aufzuhängen war eine kaltblütige Tat, die sie dem jähzornigen Drugwarenhändler Lucas Overrath nicht zutraute.
    »Das soll der Amtmann klären, Jan.«
    »Ja, aber der Overrath ist schon beim Hahnenschrei heute Morgen aufgebrochen«, warf Paitze ein. »Ich hab seinen Karren durch das Tor rollen sehen.«
    »Mag sein, aber es ist nicht unsere Aufgabe, ihn zu beschuldigen. Er ist kein streitbarer Mann, und wir wissen nicht, ob er wirklich ein Mörder ist. So, und jetzt sollten wir alle wieder unseren
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