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Die Geburt Europas im Mittelalter

Die Geburt Europas im Mittelalter

Titel: Die Geburt Europas im Mittelalter
Autoren: C.H.Beck
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Städten begonnen hat und die Landbevölkerung länger heidnisch bleibt –
paganus
, die französischen Wörter
païen
(Heide) und
paysan
(Bauer) haben dieselbe Wurzel.
    Wie wir sehen werden, war das Mittelalter eine Epoche intensiver Rechtsschöpfung, und bei dieser juristischen Feinarbeit hat das römische Recht – sein Vermächtnis und seine Renaissance – natürlich eine wichtige Rolle gespielt. Die erste, im 12. Jahrhundert gegründete Universität, Bologna, war hauptsächlich eine juristische Lehrstätte, die sich dank ihres großen Ansehens als Zentrum des europäischen Rechts etablierte.
    Zu den wesentlichen Kulturgütern, die das mittelalterliche Christentum übernommen hat, zählt insbesondere die Systematik der wissenschaftlichen Klassifikationen und der Unterrichtsmethoden. Das Programm der sieben freien Künste, dargestellt von Martianus Capella, einem christlichen lateinischen Rhetor aus dem 5. Jahrhundert n. Chr., beherrscht das mittelalterliche Lehrsystem. In zwei Zyklen unterteilt, den des
trivium
oder der «redenden» Künste (Grammatik, Rhetorik, Dialektik) und den des
quadrivium
oder der «rechnenden» Künste (Arithmetik, Geometrie, Musik, Astronomie), dienten die von Augustinus empfohlenen
Artes Liberales
im 12. und 13. Jahrhundert als Grundlage für den Universitätsunterricht an der propädeutischen Fakultät, der Fakultät der Künste.
    Unter dem Gesichtspunkt, dass in diesem Buch die Wörter, die Ideen, die Vorstellungen der Menschen zur Geltung gebrachtwerden sollen, die im gleichen Maße wie die materiellen Bedingungen die Basis für ein europäisches Gefühl abgeben, möchte ich nur darauf hinweisen, dass der Name, der zur gemeinsamen Bezeichnung derjenigen Person erkoren wurde, die die höchste Macht symbolisiert, der Name war, den die Römer ihren Herrschern gegeben hatten: Cäsar. Dieses Erbe geht sogar in die Landessprachen ein, als
Kaiser
bei den Deutschen und später in den slawischen Sprachen als
Zar
bei den Russen, den Serben und Bulgaren. Um den schlechten König zu bezeichnen, hinterließen Griechen und Römer den Ausdruck
Tyrann
. So setzt sich symbolisch eine politische Tradition fort.
    Auch ein Erbe, das sich im Mittelalter diskreter und manchmal unbewusst durchgesetzt hat, muss hier erwähnt werden. Ich meine die
indoeurop
ä
ische Ideologie der funktionalen Dreiteilung
, deren Verbreitung seit uralten Zeiten Georges Dumézil eindrucksvoll nachgewiesen hat. Zwischen dem 9. und dem 11. Jahrhundert beschreiben verschiedene christliche Autoren, die sich diesem Ordnungsprinzip angeschlossen haben, jede Art Gesellschaft und besonders die, in der sie leben, als einen Zusammenschluss von Menschen, die sich auf eine der drei für das gute Funktionieren einer Gesellschaft notwendigen Funktionen spezialisiert haben. Den klarsten Ausdruck, der zugleich in der Geschichtsschreibung den größten Erfolg erzielt, findet das Schema der drei Funktionen in einem Gedicht, das der Bischof Adalbero von Laon im Jahr 1027 für König Robert den Frommen schrieb. Ihm zufolge besteht eine wohl organisierte Gesellschaft aus Priestern (
oratores
), die beten, Kriegern (
bellatores
), die kämpfen, und Arbeitern (
laboratores
), die arbeiten. Diese Einteilung, die von vielen mittelalterlichen Klerikern übernommen wurde, um ihre Gesellschaft zu beschreiben und zu verstehen, ist vor allem in Hinsicht auf die Definition der
laboratores
problematisch. Mehrere Interpretationen stehen einander gegenüber. Für die einen gehören die
laboratores
einer anderen Ebene an als die beiden ersten Kategorien; sie stellen hauptsächlich die Masse der Bauern dar und sind den ersten unterworfen. Für die anderen, zu denen auch ich zähle, bezeichnet das Schema drei Eliten, die auf dem gleichen Niveau angesiedelt sind. Dabei bilden die
laboratores
dieproduktive, innovative Oberschicht der Bauern und Handwerker, ich würde sogar sagen, sie sind die Produzenten, die auch von einer Aufwertung der Arbeit in der mittelalterlichen Ideologie und Mentalität um das Jahr Tausend zeugen.
    Ein letztes Vermächtnis schließlich ist von größter Bedeutung: das
biblische Erbe
. Überliefert wird es den Menschen des Mittelalters nicht durch die Juden, von denen sich die Christen sehr schnell und immer weiter entfernen, sondern durch die frühen Christen. Das Alte Testament blieb trotz der vermehrt anti-jüdischen Gefühle bis zum Ende des Mittelalters eines der stärksten und reichsten Elemente nicht nur der Religion,
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