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Die Geburt Europas im Mittelalter

Die Geburt Europas im Mittelalter

Titel: Die Geburt Europas im Mittelalter
Autoren: C.H.Beck
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ist es wichtig, jenseits dieses Rahmens im Kopf zu behalten, welches Erbe früherer Kulturen das Mittelalter in ein potentiell europäisches Bewusstsein eingebracht hat. Der Einfluss, den das Mittelalter auf die Gestaltung Europas genommen hat, rührt teilweise daher, dass die Vermächtnisse früherer Zeiten nicht nur passiv übernommen worden sind, sondern die mittelalterliche Konzeption der Vergangenheit starke Impulse setzte, sich einen großen, wenngleich ausgewählten Teil dieser Vergangenheit bewusst und willentlich anzueignen – eine Nahrung für die Zukunft, die es vorzubereiten galt.
    Trotz der gewaltigen Fortschritte, die neuerdings bei der Erforschung der Vorgeschichte erzielt worden sind, bedürfte es, um die so weitergegebenen Anteile des prähistorischen Erbes zu benennen, einer gesonderten Untersuchung, für die ich weder kompetent bin noch in diesem Essay Platz habe. Dennoch würde ich sagen, dass bestimmte vorgeschichtliche Ereignisse, die Europa betreffen, im Lauf des Mittelalters wieder aufgegriffen worden sind. Desgleichen hat das Mittelalter der Antike als Übermittler gedient, besonders durch das Prinzip der Renaissance, aber auch diffuser. Ich denke an die Bedeutung der Landwirtschaft, obwohl ihre Techniken hauptsächlich der mesopotamischen Vorgeschichte entlehnt waren. Ich denke an den Aufschwung der Viehzucht, vor allem im Mittelmeergebiet, und schließlich an die reichen Metallvorkommen, die die von den Barbaren ins mittelalterliche Europa eingeführte Metallverarbeitung erlaubten. Diese wurde zunächst zur Herstellung von Waffen genutzt, vor allem des zweischneidigenSchwerts, dessen sich die Eindringlinge bedienten, und verhalf dann der mittelalterlichen Zivilisation zu ihren Erfolgen im Bereich der Rüstung und Gerätschaften.
Die Geographie
    Vergessen wir nicht, dass an erster Stelle das geographische Erbe steht. Die Vorgaben der Geographie sind insoweit erwähnenswert, als die mittelalterlichen Menschen auf eine Weise Nutzen daraus zogen, die Europa zugute kommen sollte. Europa bildet das Ende des eurasischen Kontinents. Es verfügt über vielfältige Böden und Oberflächengestalten, die das Prinzip der Vielfalt als ein charakteristisches Merkmal Europas in der Geographie verankern. Aber zugleich gibt es, ebenso gebieterisch, einigende geographische Elemente. Da sind die weiten Ebenen, günstig für den Getreideanbau, der im Mittelalter entwickelt wurde und bis heute ein zwar umstrittener, aber doch wichtiger Faktor der europäischen Wirtschaftsgemeinschaft ist. Da sind auch die ausgedehnten Wälder. Durch das Eindringen der Menschen, durch Nutzung und Urbarmachungen stellt sich der mittelalterliche Wald als eine Welt mit zwei Gesichtern dar: auf der einen Seite der Überfluss an Holz, Wild, Honig, an Kreuzungen von Haus- und Wildschweinen, und auf der anderen die ungesellige Wildnis – eine Dualität, die im heutigen Europa fortbesteht.
    Ein weiteres geographisches Element, das im Mittelalter einigend hervortritt, ist das Meer mit seinen langen Küsten. Trotz der damals herrschenden Angst vor dem Meer begegnen die Männer und Frauen des Mittelalters dieser Herausforderung, indem sie versuchen, es mit bedeutenden technischen Neuerungen wie dem Heckruder oder dem aus China stammenden Kompass zu bezwingen. Auch die Vorteile des Klimas, das seinen Anteil am gemäßigten Charakter Europas haben sollte, blieben nicht ungenutzt. Im Mittelalter wurden vor allem die Übergangszeiten gepriesen, der Frühling und der Herbst, die in der europäischen Literatur und Empfindsamkeit noch immer eine herausragende Rolle spielen. Die heute kaum ein Jahrhundert alten ökologischen Besorgnisse waren den Menschen damals nicht bekannt. Aber die Suche der Mönchenach Einsamkeit und der demographische Aufschwung, der im 11. Jahrhundert einsetzte, haben soviel Schaden angerichtet, dass manche Städte, besonders in Norditalien, schon ab dem 14. Jahrhundert Maßnahmen zum Schutz der Wälder vor der beginnenden Abholzung erließen.
Antikes Erbe
    In der Weitergabe des antiken Erbes zeigt das Mittelalter am deutlichsten seinen Charakter als Überlieferer vergangener Werte und Errungenschaften an Europa. Die erste dieser Überlieferungen ist der Name. Anfangs war Europa nur ein Mythos, eine geographische Vorstellung. Der Mythos lässt Europa aus dem Orient stammen. Das Wort und die Idee tauchen in der ältesten Kulturschicht auf dem Territorium des späteren Europa auf: in der griechischen Mythologie. Aber sie
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