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Die Gartenparty

Die Gartenparty

Titel: Die Gartenparty
Autoren: Ellery Queen
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Die Tür war geschlossen, doch wenn Nancy sich auf die Zehen stellte, konnte sie gerade eben durch eines der drei winzigen Fenster hineinsehen. Sie machte sich so groß sie konnte und blickte hinein, und da stand der Volkswagen. Wenn Vera wirklich fort war, mußte sie entweder zu Fuß gegangen sein, oder Jack hatte sie gefahren. Doch Vera haßte Fußmärsche, und Jack fuhr gewöhnlich schon ins Krankenhaus, oder in die Praxis, wenn Vera noch im Bett lag…
    Nancy ging an die Hintertür. Einen Augenblick zögerte sie, dann drehte sie den Türknopf und begann vorsichtig zu drücken. Zu ihrer Überraschung gab die Tür nach. Vera fort, und die Tür nicht verschlossen?
    Nancy betrat Vera Richmonds Küche. Die Klimaanlage machte die Luft kühl und trocken, und Nancy fühlte sich leicht und wie befreit. Doch gleichzeitig fühlte sie sich bedrückt und erstickt vom Gefühl eines drohenden Schreckens, das jeden Schritt zur Qual machte.
    Sie hielt den Atem an, legte den Kopf schief und lauschte. Kein Laut war zu hören. Ein leeres Haus.
    Trotzdem rief Nancy: »Veee-raaa!« Und wartete. »Vera, bist du da?«
    Keine Antwort. Nancy zwang sich, in die Diele zu gehen.
    »Vera?«
    Keine Antwort.
    Was, dachte Nancy, würde ich wohl sagen, wenn jetzt die Haustür aufginge und Vera hereinkäme? Wie erklärt man seine Anwesenheit im Hause des Nachbarn, wenn man erwischt wird? Verstört lachte sie. Verdammt noch mal, irgendwas stimmte hier nicht, das wußte sie. Entschlossen ging sie ins Wohnzimmer.
    Es war ein wunderschöner Raum, um den Nancy die Richmonds seit langem heimlich beneidete. Doch jetzt verspürte sie keinen Neid. Ihre Aufmerksamkeit konzentrierte sich auf die massive Mahagonitür gegenüber. Warum, wußte sie nicht.
    Hinter jener Tür lag Jack Richmonds Arbeitszimmer.
    Hinter jener Tür lag etwas Grauenhaftes. Das wußte sie. Woher, das konnte sie nicht sagen, aber sie wußte es.
    Wie eine Schlafwandlerin durchquerte sie das Wohnzimmer, öffnete die schwere Tür und blickte in Jack Richmonds Arbeitszimmer. Und da saß Vera Richmond, genau wie Nancy im stillen erwartet hatte. Sie saß in einem großen, hochlehnigen Ledersessel, das Gesicht zur Tür gewandt, fast als erwartete sie Besuch und säße da und wartete. Doch sie wartete nicht; sie war tot.
    Sie war tot, und Nancy war so sicher, daß sie tot war, daß sie nicht einen Schritt weit in den Raum hinein ging. Sie stand nur da und betrachtete ihre Freundin mit einem ganz seltsamen Gefühl des Losgelöstseins. Es hatte keine Eile mehr.
    Vera hatte sich zum Sterben frisiert, Make-up aufgelegt, und ein frisches, leuchtend buntes Sommerkleid angezogen. Sie sieht hübsch aus, dachte Nancy. Und gelassen. Die Vorhänge des Aussichtsfensters hinter ihr waren zurückgezogen, und der Sonnenschein, der durch die Schlitze der Jalousie hereinfiel, zeichnete eine Treppe aus Licht auf den glänzenden Parkettboden… eine Treppe vom Leben zum Tode. Ein schöner Raum zum Sterben.
    Vera war tot.
    Vera tot? Unvorstellbar. Vera war doch immer dagewesen, ruhig, heiter, tüchtig, selbstlos. >Meine rechte Hand<, wie Jack zu sagen pflegte. Vera war ein Mensch, der immer da war.
    Und jetzt war sie hier und saß tot in ihres Mannes Sessel, unerwartet, unerklärlich, unvorstellbar tot. Und die Frage war: Warum? Sie konnte sich doch nicht frisiert, geschminkt und ein frisches Kleid angezogen haben, nur um sich an einem herrlichen Sommermorgen hinzusetzen und zu sterben! Aber sie hatte es getan. Sie war gestorben, und nur sie wußte, warum. Sie hatte Zeit und Ort selbst gewählt.
    Nancy fuhr herum und sah den Schreibtisch mit seiner geschliffenen Mahagoniplatte, der Schreibtischsessel zurückgeschoben, als habe sich gerade jemand erhoben und sei fortgegangen. Vera. Denn auf dem Schreibtisch lagen unter einem Briefbeschwerer aus blauem Glas zwei mit Veras kräftigen Schriftzügen bedeckte Briefbogen. Sie hatte sich hierhergesetzt, um vor ihrem Tod noch etwas aufzuschreiben, vielleicht sogar, während sie auf den Tod wartete. Und da lag ihr Brief, da unter dem Briefbeschwerer…
    Zu ihrer eigenen Überraschung stand Nancy plötzlich am Schreibtisch. Sie hatte gar nicht gemerkt, daß sie hinübergegangen war. Und jetzt schob sie mit den Fingernägeln den Briefbeschwerer beiseite, beugte sich über den Tisch und las, ohne die Blätter zu berühren, was Vera geschrieben hatte.
    Liebster Jack,
    seit jenem Abend auf unserer Terrasse habe ich mit furchtbarer Gewißheit gewußt, daß Leutnant Masters
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