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Die Galerie der Nachtigallen

Die Galerie der Nachtigallen

Titel: Die Galerie der Nachtigallen
Autoren: Paul Harding
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Menge, du siehst ihre Augen im Antlitz jeder
Frau, der du begegnest. Sie sucht dich heim in deinen Träumen.
Kein Tag vergeht, ohne daß sie in deinen Gedanken
erscheint.«
    Athelstan dachte an
Benedicta, und er wußte, was der Novizenmeister gemeint
hatte.
    »Oh,
gütiger Christus«, murmelte er.
    Er stand auf und
klopfte sich den Staub von der Kutte. Bonaventura hatte seine Milch
aufgeschleckt, kam herüber und schaute zu ihm hoch.
    »Katholisch oder
katerlich, Bonaventura?« Athelstan lachte über seinen
matten Scherz. »Will der Pater Prior mir einen Streich
spielen?« fragte er sich. »Ich habe meinen
achtundzwanzigsten Sommer hinter mir und werde von Pontius nach
Pilatus geschickt.« Vielleicht wollen seine Oberen ihn auf
die Probe stellen, indem sie ihn von den Härten des Noviziats
zu den akademischen Glorien von Exeter Hall sandten, dann wieder zu
niedrigen Diensten nach Blackfriars zurückholten und
schließlich als Schreiber des Leichenbeschauers und als
Gemeindepfarrers von St. Erconwald arbeiten
ließen.
    Der Bruder kniete
nieder, bekreuzigte sich und begann leise einen Psalm zu
rezitieren, als er ein Geräusch hörte. Erschrocken sprang
er auf; vielleicht hatten die Behörden doch noch ihre Schergen
ausgeschickt, um Godric zu holen. Selbst im Elend von Southwark
entging Athelstan nicht, daß er in politisch turbulenten
Zeiten lebte. Edward III. war tot und sein Erbe, Richard II., noch
ein Kind. Die mächtigen, adeligen Falken setzten in den
meisten Fällen noch immer ihren Willen durch. Athelstan griff
einen Kienspan, entzündete ihn an der Kerze vor der Madonna
und eilte durch die Kirche, daß die Pfützen spritzten,
die der heftige Regenguß ein paar Tage zuvor hinterlassen
hatte. Er öffnete die Kirchentür, streckte den Kopf
hinaus und lächelte. Die städtischen Wächter waren
aus dem Schlaf aufgeschreckt und führten ein heftiges
Wortgefecht mit Sir John Cranston, der, als er seinen Schreiber
sah, lospolterte: »Um Gottes willen, Bruder, sag diesen
Trotteln, wer ich bin!« Cranston tätschelte seinem
mächtigen Roß den Hals und schaute blitzenden Auges in
die Runde. »Wir haben Arbeit, Bruder. Wieder einen Toten,
ermordet in Cheapside. Einer der Großen dieser Gegend. Komm
schon und kümmere dich nicht um diese Tröpfe.«
»Sie kennen Euch nicht, Sir John«, erwiderte Athelstan.
»Wie Ihr aber auch ausseht, in Mantel und Kapuze gewickelt!
Schlimmer als ein Mönch.«
    Der Coroner blies die
dicken Backen auf, zog die Kapuze zurück und brüllte
seine Peiniger an: »Ich bin Sir John Cranston, Coroner der
Stadt-und Ihr, meine Herren, stört den Frieden des
Königs! Zurück jetzt!«
    Die Männer wichen
zurück wie geprügelte Mastiffs, und in ihren dunklen
Gesichtern glommen Angst und Wut. »Komm jetzt,
Athelstan!« rief der Coroner, dann fiel sein Blick auf etwas
zu Füßen des Ordensbruders. »Und schaff mir die
Katze aus den Augen. Ich hasse das Vieh.« Bonaventura dagegen
schien in Cranston einen lange vermißten Freund zu sehen.
Eilig sprang der Kater die Treppe hinunter, ließ sich neben
dem richterlichen Roß nieder und schaute so zärtlich zu
dem großen Mann hinauf, als brächte er einen Eimer voll
Milch oder einen Teller mit den schmackhaftesten Fischen. Cranston
wandte nur den Kopf ab und spuckte aus.
    »Laßt
Godric in Ruhe«, warnte Athelstan die Wächter.
»Ihr dürft meine Kirche nicht
betreten.«
    Sie nickten. Athelstan
schloß die Tür ab und ging zu seinem Haus neben der
Kirche. Er stopfte Pergament, Federkiele und Tinte in seine
verschlissenen Ledertaschen, sattelte Philomel und schloß
sich Sir John an. Der Coroner war gut gelaunt; er genoß
seinen Streit mit den städtischen Wächtern, weil er das
Beamtentum haßte. Lautstark verfluchte er die Stadtgarde und
mit ihr alle Goldschmiede, Pfaffen und - mit listigem Seitenblick
auf Athelstan - alle Dominikanermönche, die die Sterne
studierten. Athelstan ignorierte ihn und trieb Philomel
an.
    »Kommt, Sir
John«, sagte er. »Ich dachte, wir hätten
Arbeit.« Aber Cranston war jetzt vollends in Wallung geraten.
Noch einmal brüllte er die Wachen an, trieb dann seinem Pferd
die Fersen in die Weichen und holte lärmend auf, bis er an
Athelstans Seite ritt.
    »Wahrscheinlich
hast du letzte Nacht nicht geschlafen, Bruder. Bei deinen
verdammten Sternen, deiner verfluchten Katze, deinen Gebeten und
Messen!«
    »Stets
himmelwärts gewandt«, witzelte Athelstan. »Ihr
solltet auch einmal zum Himmel hinaufschauen und die
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