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Die Galerie der Nachtigallen

Die Galerie der Nachtigallen

Titel: Die Galerie der Nachtigallen
Autoren: Paul Harding
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des
Aufruhrs schuldig machen, und der Prior hatte ihm das feierliche
Gelübde abgenommen, zu schweigen und zu dienen, statt zu
klagen.
    Cranston und Athelstan
mußten anhalten und eine Weile warten. Am Aufgang zur
Brücke drängten sich die Menschen, die in den
nördlichen Teil der Stadt hinüberwollten, zum
großen Markt und in die Läden in der Cheapside.
Athelstan zog seine Kapuze über den Kopf und hielt sich die
Nase zu, um dem Gestank einer offenen Kloake zu entgehen, in der
die Fäkalien der umliegenden Häuser schwammen, das
Abwasser aus den Färbereien und Wäschereien und
verwesendes Aas, das hineingeworfen worden war. Die Luft war schwer
vom fauligen Teerdunst aus den baufälligen Hütten, in
denen Gerber und Lederarbeiter ihrer Arbeit nachgingen. Cranston
gab ihm einen Rippenstoß und deutete auf ein totes Schwein,
das gerade untersucht wurde; zwei Konstabler in gestreiften
Mänteln hasteten umher und hielten Ausschau nach
Zuhältern, Dirnen oder Bänkelsängern, die sie
verhaften könnten.
    »Gibt es hier
Häuser, Dampfstuben, wo unzüchtige Weiber sich
verstecken?« schrie einer der Konstabler, und sein dickes
Gesicht war rot und verschwitzt.
    »Ja«,
murmelte Athelstan. »Davon gibt es hier viele. Und die
meisten darin sind meine Pfarrkinder.«
    Er sah, wie eine
Milchverkäuferin mit zwei Eimern über der Schulter auf
Kundschaft hoffend herankam, schaute aber weg, als Crim, der Sohn
von Watkin, dem Mistsammler, sich heranschlich und unbemerkt in
einen der Eimer spuckte. Beim Anblick des Bengels fielen Athelstan
plötzlich ein paar Pflichten ein, die er bei seinem hastigen
Aufbruch mit Sir John Cranston vergessen hatte.
    »Crim!«
rief er jetzt. »Komm her!«
    Der Junge kam gerannt.
Sein schmales, blasses Gesicht war dreckverschmiert. Athelstan
wühlte in seiner Börse und drückte dem Jungen einen
Penny in die ausgestreckte Hand.
    »Sag deinem
Vater, Crim, daß ich mit Sir John Cranston über die
London Bridge geritten bin. Er soll Bonaventura füttern und
aufpassen, daß die Kirchentür verschlossen bleibt. Wenn
Cecily, die Hure, dort sitzt, soll er sie wegschicken. Hast du das
behalten?«
    Crim nickte und
schoß davon, wie der Bolzen von der Armbrust
fliegt.
    Das Gedränge
löste sich auf, und Cranston trieb sein Pferd an. Athelstan
folgte ihm. Um die London Bridge zu erreichen, mußten sie
sich zwischen Häusern hindurchschlängeln, die so eng
beieinander standen, daß kaum ein Ochsenkarren zwischen ihnen
durchfahren konnte. Athelstan hielt den Kopf gesenkt. Der Ort war
ihm zuwider. Häuser erhoben sich zu beiden Seiten, und manche
ragten bis zu acht Fuß weit über den Fluß, dessen
wilde Fluten unten durch die neunzehn Bögen rauschten. Sir
John begann ihm die Geschichte der alten Kirche von St. Thomas
Overy zu erzählen, an der sie gerade vorbeigekommen waren,
aber Athelstan hörte nur mit halbem Ohr zu. Er bekreuzigte
sich an der Kapelle von St. Thomas a Beckett und blickte erst
wieder auf, als Sir John befahl, haltzumachen und die Pferde an der
Schänke >Zu den drei Fässern<
unterzustellen.
    »Das
Gedränge ist zu groß«, meinte Sir John. »Zu
Fuß sind wir schneller.«
    Er bezahlte die
Hausknechte, die die Pferde davonführten, und mit Athelstan an
seiner Seite marschierte er den Fish Hill hinauf, vorbei an der
Kirche des heiligen Magnus des Märtyrers und in die Cheapside
hinein. Das schöne Wetter hatte die Menschen in Scharen auf
die Straße gelockt. Lehrlinge und Händler, die ihre
Stände aufgebaut hatten, hasteten mit Tuchballen,
Lederstücken, Börsen, Körben und Wämsern hin
und her. Sie türmten ihre Ware auf den Tischen und hofften auf
gutes Geschäft. Der Boden war eine Mischung aus Schlamm,
Menschenkot und tierischen Abfällen, noch feucht vom Unwetter.
Sie rutschten und glitschten voran und hielten sich an einander
fest. Cranston stieß abwechselnd Flüche und Warnungen
aus. Athelstan wußte nicht, ob er über Sir Johns
puterroten Kopf und seine wütenden Schimpftiraden lachen oder
ihn beruhigen sollte. Die Mistkarren waren unterwegs und sammelten
den Abfall des vergangenen Tages ein. Die vierschrötigen,
rotgesichtigen Kärrner, in ein Sammelsurium grellbunter Lumpen
gehüllt, fluchten lautstark, und ihre Verwünschungen
hingen schwer in der schwülen Luft. Als Cranston und Athelstan
vorübergingen, hörten sie, wie einer der Müllsammler
»Achtung!« brüllte und dann wurde ein Leichnam
hinter dem Torpfeiler eines alten Hauses hervorgerollt. Athelstan
blieb stehen. Er sah
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