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Die Gabe des Commissario Ricciardi

Die Gabe des Commissario Ricciardi

Titel: Die Gabe des Commissario Ricciardi
Autoren: Maurizio de Giovanni
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hochzukommen, aber es war unmöglich: Keiner war bereit, sich dem Anblick erneut zu stellen.
    Ferro rauchte mit zittriger Hand eine Zigarette. Ricciardi sagte zu ihm:
    – Sie hatten recht, auch der Mann ist tot. Wie hießen die Opfer?
    – Garofalo hießen sie, Commissario. Hauptmann Emanuele Garofalo und die Frau hieß mit Vornamen Costanza. Ihren Mädchennamen kenne ich nicht.
    – Hauptmann, sagen Sie. War er Soldat?
    – Ja … nein, eigentlich nicht. Er arbeitete am Hafen, bei einer dieser Milizen, die unter den Faschisten neu entstanden sind. Er war kein richtiger Hauptmann, hat's mir ziemlich oft erklärt, aber ich hab's nie richtig verstanden, ich glaub', Zenturio oder so; am Ende hat er's aufgegeben und zu mir gesagt: Beniamino, weißt du was, nenn mich einfach Hauptmann, das ist der entsprechende Dienstgrad der Armee, und wir lassen es gut sein.
    Maione bemerkte:
    – Unser Freund hier hat gar nicht so Unrecht, Commissario. Alle drei Monate gründen sie eine neue Miliz und keiner blickt durch. Wenn er am Hafen gearbeitet hat, war's bestimmt bei der Hafenmiliz, die ist für den Warenverkehr und den Fischfang zuständig.
    – Genau richtig, Brigadiere, auch für den Fischfang, mischte sich Ferro ein, oft kamen nämlich Fischer mit Geschenken, aber er hat keins davon angenommen; er hat geschimpft, mit ein bisschen Fisch wollten sie ihn wohl milde stimmen, aber er sei nicht bestechlich. Der Hauptmann hatte noch Sinn für Anstand und Sitte. Und sehen Sie sich an, wie er geendet ist.
    Ricciardi kam zurück aufs Hauptthema:
    – Waren Sie den ganzen Morgen über hier?
    – Ja, Commissario. Das heißt, ich war kurz im Wirtshaus gegenüber, ein halbes Stündchen vielleicht, länger nicht, und hatte das Eingangstor immer im Blick. Es ist kalt und zugig hier, spüren Sie's? Da wird man sich ja ein wenig aufwärmen dürfen.
    Maione erinnerte sich schaudernd an den Atem des Mannes, der nach billigem Fusel stank.
    – Ein halbes Stündchen, was? Und immer das Tor im Blick. Haben Sie denn, während Sie dort waren, jemanden hereingehen sehen?
    – Nein, ganz bestimmt nicht, Brigadiere. Der Letzte, der wegging, war der Buchhalter Finelli, dann kam der Hauptmann zurück, der das Haus gewöhnlich nachmittags wieder verlässt, sonst war nichts. Ich passe gut auf, wissen Sie: Nicht einmal eine Fliege kann reinkommen, ohne dass ich es merke.
    Maione schüttelte den Kopf:
    – Mit Ausnahme von zwei Dudelsackpfeifern, samt Instrumenten, die sie nicht aufgezählt haben. Unsichtbar wie zwei fette Fliegen, würd' ich sagen. Haben Sie sie nicht reingehen sehen?
    Ferro öffnete und schloss den Mund zweimal. Schließlich gab er zu:
    – Nein, Brigadiere, ich hab' sie nicht gesehen. Hab' sie verpasst. Sie müssen hineingehuscht sein, als ich gerade in meiner Tasche nach Geld gesucht und wegschaut habe.
    Maione und Ricciardi wechselten einen Blick: Mehr noch als die Alkoholfahne sprachen die rote Nase und die blutunterlaufenen Augen dafür, dass der gute Ferro gerne trank, ob es nun kalt war oder nicht. Jeder, der die Gewohnheiten des Pförtners kannte, hätte den geeigneten Moment abpassen können, um ins Haus zu gelangen.
    – Na gut. Sprechen wir also jetzt mit den beiden Dudelsackpfeifern. Mal sehen, was sie zu erzählen haben.

III
    Die Dudelsackpfeifer waren ganz offensichtlich Vater und Sohn, ihre Ähnlichkeit war unverkennbar: dieselben Augen und Gesichtszüge, dieselbe Art, sich zu bewegen.
    Ferro hatte sie gebeten, in dem Zimmer Platz zu nehmen, das er im Erdgeschoss hinter der Portiersloge bewohnte. Den Raum nahm zu einem großen Teil ein Holztisch ein, auf dem gerade an einer Krippe gebaut wurde. Der Pförtner entschuldigte sich für die beengten Verhältnisse:
    – Sie wissen ja, wie's ist, Commissario. Ich hatte noch keine Zeit, sie fertig zu machen, und zu Weihnachten will ich sie in den Hauseingang stellen. Das heißt, ich wollte, denn ich weiß nicht, ob's jetzt noch angebracht ist. Die Kinder des Buchhalters hätten sich sicher sehr darüber gefreut, ich hatte es ihnen versprochen, da werden sie traurig sein. Aber bei zwei Toten, die noch dazu auf so grässliche Weise umgekommen sind, lasse ich's wohl lieber, meinen Sie nicht, Brigadiere?
    Maione zuckte mit den Schultern. Ricciardi konzentrierte sich auf die beiden Männer, die sich etwas abseits hielten, als wünschten sie, von der Dunkelheit verschluckt zu werden. Der Sohn saß auf einem Stuhl, bleich und zitternd; sein Vater, mit sonnenverbranntem Gesicht, hatte ihm
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