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Die Gabe der Magie

Die Gabe der Magie

Titel: Die Gabe der Magie
Autoren: Kathleen Duey
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Felsbogen, der durch das Farnkraut hinter dem kleinen Tier zu
erahnen war.
    Sadima lächelte das Junge an. Dann machte
sie einen kleinen Schritt auf das Tier zu. Es knickte an den Vorderbeinen ein
und reckte seinen kleinen, wedelnden Schwanz in die Luft. Sadima ließ sich auf
die Knie sinken, und das Wölfchen rannte auf sie zu. Sadima begann, sich mit
ihm zu balgen. Vorsichtig warf sie das kleine Tier um, bis es auf dem Rücken
lag, und sie antwortete auf die leisen Grunz- und Quietschlaute, die es ausstieß.
Sie kraulte mit ihren Fingern das weiche Fell des Jungtieres und fühlte seine
Gedanken. Es hatte keine Geschwister. Einst hatte es eines gegeben, aber
Fleisch war selten. Einsam, einsam, hungrig. Sadima zog einen Stock über
die Erde. Das Junge verfolgte ihn und sprang wie ein geborener Jäger hinterher.
Nachdem sie eine Weile gespielt hatten, veränderten sich die Gedan ken des Jungen. Glücklich, müde,
schläfrig.
    Sadima hatte das Wolfskind zurück in den
Eingang zur Höhle gesetzt und wollte sich gerade davonmachen, als sie das leise
Knurren hörte. Sie drehte sich um und stand der Mutter des Wölfchens gegenüber.
Die Wölfin umkreiste sie und atmete den Geruch ihres Nachwuchses auf Sadimas
Kleidung ein. Dann legte sie die Ohren an, senkte den Schwanz und lief an ihr
vorbei, müde von der nächtlichen Jagd und bereit, ein wenig zu dösen und ihr
einziges Junges zu säugen.
    Sadima rannte heim, als die Sonne bereits
voll am Horizont stand. Halb erwartete sie, dass ihr Vater oder Micah ihr auf
der Straße entgegenkommen würden, um sie zu suchen, aber das war nicht der
Fall. Sie rannte über die Weide und geradewegs zur Scheune. Als Micah kam, war sie gerade beim Melken.
    Er lächelte, dann gähnte er. »Früh auf
gewesen?«
    »Ja«, antwortete Sadima. Das war keine
richtige Lüge. Sie wollte ihm vom Wolf erzählen. Aber sie wusste, dass er ihr
nicht glauben würde, und fürchtete, er könnte Papa erzählen, dass sie wieder
gelogen habe.

8
     
    DIE DÜSTERE HÖHLE ROCH NACH STEIN UND
STAUB. FACKELN MIT KALTEM FEUER WAREN WEIT OBEN AN den Wänden befestigt und warfen ihr Licht in großen Halbkreisen.
Mein Vater ging auf einige Bänke zu, die am anderen Ende des mächtigen Raumes
standen, und meine Mutter folgte ihm. Ich schlurfte hinter ihr her. Vor uns
befanden sich andere Familien, und hinter uns ebenfalls. Alle schwiegen. Ich
sah einen großen Jungen, der mich einen Augenblick lang an meinen Bruder
erinnerte. Hatte mein Vater Aben eingeweiht? Wusste er, dass sie mich hierherschickten?
    »Hahp.« Meine Mutter verstärkte den Griff
an meinem Arm. Sie hatte den Rücken durchgedrückt, schob die Brust vor, hob das
Kinn und ließ die Schultern sinken, damit ihr Hals länger und graziler aussah.
»Hahp«, wiederholte sie mit leiser Stimme. »Keine Streiche, keine Scherze. Hier
kann dein Vater die Dinge nicht wieder geradebiegen.«
    Ich nickte und starrte auf die Fackeln an
der gegenüberliegenden Wand. Meine Mutter lachte fröhlich auf, womit sie mich
erschreckte, legte dann anmutig den Kopf schräg und beugte sich weiter zu mir.
»Hahp, die Leute beobachten uns. Ich sehe Teller Abercrome.« Ein zweites Mal
lachte sie leise und winkte mit einem Finger in meine Richtung, als hätte ich eine
witzige Bemerkung gemacht.
    Ich sah die fiebrige Gespanntheit in ihren
Augen und versuchte zu lächeln. Für sie war es hier wie in einem Ballsaal – und
Ballsäle waren ihr Schlachtfeld.
    Die Abercromes hatten etliche Zauberer
hervorgebracht. Das wusste ich, weil mein Vater mir davon berichtet hatte, und
seine Stimme war bitter gewesen. Sie waren bekannt für ihren Wohlstand, aber
etliche Generationen waren inzwischen auf jene gefolgt, denen man die
Reichtümer verdankte. Es war altes Geld und sehr hoch angesehen. Mein
Vater hasste die Abercromes.
    Wieder lachte meine Mutter, und auch ich
zwang mich zu einem Lächeln, um ihr Spiel mitzuspielen. Beinahe verzweifelt sorgte sie sich darum, was die anderen
Frau en, die uns beobachteten, von uns denken mochten, denn es war meinem
Vater wichtig. Aus seiner Familie war noch nie ein Zauberer hervorgegangen, ja
es war noch nicht einmal der Versuch dazu unternommen worden. Ich war der erste
Malek, der hierhergebracht wurde.
    Ohne Zweifel wusste jeder in diesem Raum
darüber Bescheid.
    Meine Mutter versetzte mir einen leichten
Stoß, und ihr Lächeln wurde breiter. Ich bleckte die Zähne und hoffte, dass es
ebenfalls wie ein Lächeln aussah. Ich hatte meine Chance verpasst, aus
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