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Die Gabe der Magie

Die Gabe der Magie

Titel: Die Gabe der Magie
Autoren: Kathleen Duey
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der
Kutsche zu springen, und ich hatte nicht genügend Mut gehabt, mich über den
Rand der Klippe zu stürzen. Ich war langsam im Denken und ein Feigling, worauf
mein Vater mich Hunderte von Malen hingewiesen hatte. Würden mich die Zauberer
als Dummkopf gleich wieder nach Hause schicken? Oder mich an einen Sklavenhändler
verkaufen, damit ich irgendwo im Süden die Ställe putzte? Mein ganzes Leben
lang hatte ich solche Geschichten gehört – wie alle anderen auch. Mein Vater
sagte, das sei alles Unsinn. Aber die Zauberer unterstanden nicht den Alten
Gesetzen des Königs, und auch nicht den Heiligen Gesetzen Eridians oder sonst
welchen.
    Meine Mutter drängte mich nach rechts, und
ich sah zehn Steinbänke in zwei Reihen zu je fünf. Jede war ein Kunstwerk und
aus dem Felsen herausgeschlagen worden. Der Stein war glatt wie Glas, und die
Kälte kroch durch meine Hose, als ich mich setzte. Meine Mutter ließ ihre Hand
auf meinem Unterarm liegen. Mein Vater nahm neben ihr Platz und hielt sich sehr
aufrecht.
    Es gab auch ein Lesepult, das aus dem
felsigen Boden gemeißelt worden war. Ich
starrte dorthin wie jeder ande re auch, sogar mein Vater. Dies war eine
Schule. Natürlich würde es auch ein Willkommensprogramm für die Eltern geben.
Waren eine Rede zu erwarten, Tamarindentee und Kekse?
    Die Zauberer waren nun an der Wand hinter
dem Pult aufgereiht, die Hände in den schwarzen Ärmeln versteckt, die Kapuzen
aufgesetzt, sodass man sie kaum erkennen konnte. Die Stille dauerte so lange
an, dass nach und nach ein unbehagliches Rascheln von Kleidung zu hören war,
kurzes Husten und Flüstern. Ich sah über die Schulter und zählte. Zehn. Waren
das alle? Würde es nur zehn Jungen in der Klasse geben? Ich erkannte einen von
ihnen – Levin Garrett – er war in meinem Alter. Ich hatte gemeinsam mit ihm die
Tolisan-Akademie besucht, mein zweites Internat, und
seitdem nichts mehr von ihm gehört. Er nickte kurz mit dem Kopf, um mir zu
zeigen, dass er mich ebenfalls wiedererkannt hatte, dann senkte er den Blick.
Ich drehte mich wieder nach vorne und starrte auf das unbesetzte Pult.
    »Wir haben die Großen Tore geöffnet«,
sagte eine heisere Stimme. »Schon bald werden wir sie wieder schließen.«
    Ich blinzelte. Dort
stand ein Zauberer auf dem Podi um. Er musterte uns, als ob wir ihn irgendwie
beleidigt hät ten. War das der
Schulleiter? Ich schluckte schwer. Seine hel len Augen huschten über die
Bänke, und er räusperte sich, hob jedoch nicht noch einmal zu sprechen an. Mein
Herz flatterte wie ein Vogel, den man in ein Kästchen gesperrt hatte. Dann fiel
mein Blick auf meine Mutter, die ihn ebenfalls anstarrte.
    »Das Lernpensum ist schwierig«, sagte der
Mann schließlich mit belegter, angestrengter Stimme, als ob ihm jedes Wort
Schmerzen bereiten würde. »Einer eurer Söhne wird als Zauberer durch die Großen
Tore treten – oder keiner von ihnen. Einige bleiben …« Er schwieg einen Augenblick,
dann fuhr er fort: »Die meisten, die versagen, bleiben innerhalb unserer Mauern
bei uns und werden Teil der Schule.« Erneut brach er ab. »Die Eltern werden
informiert.«
    Ich hörte, wie sich ein Flüstern erhob,
sich dann jedoch wieder legte, als der Zauberer den Kopf hob und sich ein
weiteres Mal räusperte. Aber dann starrte er lediglich empor, über unser aller
Köpfe hinweg. Was war mit ihm los? Auf meiner Haut sammelte sich jener klebrige
Schweiß, der mit Übelkeit einhergeht, und ich schauderte.
    Der Zauberer schien sich auf uns zu
konzentrieren, dann winkte er beiläufig mit der Hand. »Die Eltern gehen jetzt.«
Leise, erschrockene Aufschreie weiblicher Stimmen gingen durch die kleine
Gruppe, und er legte wieder den Kopf schräg, als ob ihn diese Reaktion
erstaunte. Dann machte er die gleiche Geste noch einmal, diesmal jedoch
nachdrücklicher. Mein Vater erhob sich. Meine Mutter zögerte, stand dann ebenfalls
auf und ließ ihre Hand auf meiner Schulter ruhen. Ich konnte spüren, wie sie
zitterte; sie beugte sich vor, um meine Wange zu küssen, und flüsterte etwas,
das ich über dem Pochen meines eigenen Herzschlags nicht hören konnte. Mein
Vater griff nach ihrer Hand und führte sie fort. Er sah sich nicht noch einmal
nach mir um, und er hielt meine Mutter ebenfalls davon ab, mir auch nur einen
letzten Abschiedsblick zuzuwerfen. Sie versuchte, sich umzuwenden, das konnte
ich sehen, aber er hatte ihr den Arm um die Schultern gelegt und presste sie an
seine Seite. Ich schaute ihnen nach, bis sie wieder draußen im
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