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Die Gabe der Magie

Die Gabe der Magie

Titel: Die Gabe der Magie
Autoren: Kathleen Duey
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Magen sich zusammenzog. Gabardino riss an den Zügeln und brachte den
Hengst zum Stehen, als mein Vater es ihm befahl. Die Räder knirschten auf dem
Felsen, als das Pony in seinem Geschirr
tänzelte und seine lange Mähne schüttel te. Ich saß wie versteinert da
und hatte meine Arme über meinem rumorenden Magen verschränkt.
    »Hahp«, sagte mein Vater und beugte sich
so nahe zu mir, dass ich das Aroma der Seife auf seiner Haut riechen konnte.
»Sitz aufrecht.«
    Ich straffte die Schultern. Gabardino
öffnete den Kutschschlag und zog den eingehängten Tritt für meine Mutter
heraus. Ich stand reglos da, und in meinen Ohren dröhnte der Klang meiner
eigenen Furcht. Von der Kutsche aus hatte ich die Eisentore schon Hunderte von
Malen gesehen, jedoch nie bemerkt, wie hoch sie waren. Und sie hatten nie offen
gestanden. Ein Schiff hätte durch diesen Eingang segeln können. Es dauerte
einen Moment, bis ich die Zauberer sah, die zu beiden Seiten neben der Öffnung
standen und dem dunklen Gestein den Rücken zuwandten. Ihre schwarzen Umhänge
ließen sie mit dem Felsen verschmelzen wie Motten mit der Rinde von Bäumen.
    Mein Vater räusperte sich. Ich stieg ab
und half dann meiner Mutter; meine Hände waren schweißnass. Als ich auf ihren
Rocksaum trat, tat sie so, als habe sie es nicht bemerkt, und lächelte mich an.
Zuletzt stieg mein Vater die Stufen hinunter, blieb stehen und sammelte sich, sei ne
Schultern gestrafft und den Kopf hoch erhoben. So blickte er sich um. Wir waren
als Erste angekommen.
    Ich stand ganz still und suchte den Himmel
ab. Drei winzige Punkte konnte ich ausmachen: Kutschen, die sich näherten. Ich
würde an der Akademie nicht bestehen. Warum auch? Überall sonst, wo man mich
hingeschickt hatte, war ich durchgefallen. Die großzügigen Spenden meines Vaters
ließen die Lehrer mir gegenüber nachsichtig sein und mir am Ende lediglich ein
Empfehlungsschreiben für die nächste Schule ausstellen. Ich konnte mir nicht
vorstellen, dass die Zauberer dies zulassen würden.
    Was geschah mit den Jungen, die durch
diese Türen schritten?
    Niemand wusste es. Aber die Augen des
weißen Ponys erinnerten mich an die kalten, seltsamen Augen der Zauberer. Ich
starrte auf die Felskante. Dahinter ging es steil abwärts, und bis zum Fuß des
Abhangs war es zweifellos zehnmal tiefer als nötig. Wenn ich jetzt einfach
losliefe und spränge, dann würde ich sterben. Ich warf meinem Vater
einen Blick zu. Niemals wieder würde ich hören müssen, wie enttäuscht er von
mir sei und wie sehr er sich für mich schäme. Aben war der ältere seiner Söhne
und derjenige, der alles erben würde. Meine Mutter würde weinen, aber sie würde
es verstehen, dachte ich. Ganz sicher hatte sie selbst schon mindestens einmal
daran gedacht zu sterben, um meinem Vater für immer zu entfliehen. Und für sie
wäre es besser, wenn ich fort wäre. Manchmal setzte sie sich ihm gegenüber für
mich ein – und immer bezahlte sie mit blauen Flecken dafür.
    Ich versuchte nachzudenken und spähte an
meiner Mutter vorbei in den Himmel. Die Kutschen kamen immer näher. Ich sah zu
meinem Vater und dann wieder zum Abgrund. Meine erste Chance hatte ich verpasst.
Dies könnte meine letzte sein. Wollte ich sterben? Ich versuchte, mir diese
Frage zu beantworten, doch ich konnte es nicht.
    Und dann bemerkte ich den Botenjungen. Er
erklomm gerade die letzten der uralten Stufen. Ich sah ihn Stück für Stück
auftauchen. Zuerst erschien nur sein Kopf, dann kamen seine Schultern, und nach
und nach wurde immer ein wenig mehr von ihm sichtbar. Als er endlich ganz oben
angekommen war, ließ er sich auf die Knie sinken.
    Er trug die grob
gesponnene Kleidung der Marktstän de vom South End. Schweiß ließ seine dunklen Locken auf der
Kopfhaut kleben. Als er sich wieder erhoben hatte, glotzte er die Kutschen an,
die nun auf dem riesigen, steinernen Vorsprung aufsetzten. Die Boten waren
immer Straßenjungen. Niemand sonst war hungrig genug, sich für ein paar
Kupfermünzen diese endlose Treppe hinaufzumühen.
    Ich fragte mich, wer ihn beauftragt hatte
und weshalb. Eine verzweifelte Familie, die ein verkrüppeltes Kind heilen wollte?
Vielleicht eine Frau, die zu alt war, um selbst die Stufen emporzusteigen, die
jedoch nichts so sehr wollte, als ihrem bettlägerigen Ehemann zu helfen?
    Eine weitere Kutsche setzte auf dem
dunklen Stein auf, und die Augen des Botenjungen weiteten sich noch mehr. Er starrte ungläubig, als die Hufe der
braunen Stu te auf dem Fels
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