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Die Gabe der Magie

Die Gabe der Magie

Titel: Die Gabe der Magie
Autoren: Kathleen Duey
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landeten und das Tier in vollkommenen,
weichen Bewegungen auslief. Ich sah, wie er mühsam schluckte. Alle Kutschen
sahen prachtvoll aus, und die Eltern trugen schöne Kleider. Da war ohne Zweifel
mehr Seide und Silber, als er es sich je in seinem Leben hatte träumen lassen.
Ich beneidete ihn. Wenn er seine Nachricht überbracht hatte, würde er die
Stufen wieder hinabsteigen. Er durfte diesen Ort wieder verlassen.
    Ich hörte die Stimme meines Vaters und
drehte mich um. »Hahp? Bist du taub?«, fragte er leise, aber stirnrunzelnd. Ich
versuchte, seinem Blick standzuhalten, merkte jedoch, wie ich an ihm vorbei auf
die riesenhaften Tore starrte. Was immer hinter ihnen lag, war im dunklen Innern
verborgen.
    Meine Mutter trat an meine Seite, und
plötzlich brachte sie mich dazu, den ersten Schritt zu tun. Sie hatte ihre Hand
auf meinen Arm gelegt, als ob ich ihr helfen und sie weiter auf dem Weg
führen würde. Mein Vater blieb einen halben Schritt vor uns, die Schultern
angespannt und steif.
    Ich drehte mich mühsam herum, um einen
letzten Blick auf Gabardino zu werfen. Er wartete, wie er es immer tat – auf
Feierlichkeiten, bei Paraden, vor der Schule und bei Hochzeitsfahrten; er
wartete im Wind, im Regen und in der Sommersonne. Aber dieses Mal würde er ohne
mich abfahren.
    Ich spürte, wie etwas mein Gesicht verdunkelte, und ich hob mit einem Ruck meinen Kopf, als
wir in den Schatten der überhängenden Felswand traten. Die enormen Türen
befanden sich nun ganz nah vor mir, vielleicht zwanzig Schritte entfernt.
    »Guten Morgen«, sagte mein Vater, als wir
näher kamen. Keiner der Zauberer antwortete. Ich sah, wie sich Schweißtropfen
aus den eisengrauen Haaren meines Vaters lösten. Das ließ mich zögern, und meine
Mutter wurde mit mir langsamer. Noch immer ruhte ihre Hand kaum spürbar auf
meinem Unterarm. Mein Vater machte nun größere Schritte. Meine Mutter konnte
nicht mithalten, aber sie sorgte dafür, dass ich nicht stehen blieb. Ich
schloss die Augen, als wir aus dem Tageslicht in die Dunkelheit traten.

7
     
    SADIMA LAG WACH. MANCHMAL HIELT SIE ES IN
IHREM BETT NICHT AUS. ES FÜHLTE SICH AN, ALS OB ZARTE, weiche Hände sie führten, wenn sie unter ihrer Decke hervorschlüpfte,
sich anzog, zum Fenstersims tappte und sich in den Garten fallen ließ, wo das
Gras kühl unter ihren nackten Füßen war. Als sie klein gewesen war, war sie
einfach die Straße hinuntergerannt, dann über die Wiese zum Hügel und wieder
zurück. Dabei war ihr eine Obstkiste behilflich gewesen, die sie versteckt
hatte, um sich wieder durchs Fenster stehlen zu können. Aber als ihre Beine
länger wurden, lief sie auch weiter, und sie brauchte keine Kiste mehr.
    Manchmal tanzte sie einfach in der kalten
Nachtluft und stellte sich die Welt jenseits der Ziegenweiden vor. Weit im
Westen am Meer gab es eine Stadt. Limori. Papa sagte, es sei ein verrufener Ort
und er wolle nicht, dass sie ihn jemals wieder danach frage. Aber Sadima hatte
Micah so lange bedrängt, bis er ihr all die Geschichten erzählte, die er über
diese Stadt kannte, und alles, was er sonst noch wusste. Die Hälfte der Welt
sei von Wasser bedeckt, sagte Micah. Sadima wünschte sich, ein Meer zu sehen.
Es zu schmecken.
    In dieser Vollmondnacht wollte sie ihren
zehnten Geburtstag feiern, schlüpfte hinaus und rannte, schweigend und glücklich,
durch den Garten und den Pfad hinunter, der zur River Road führte. Sie wusste,
wenn sie dem Fluss nur lange genug folgte, würde sie zum Dorf gelangen. Sie
hatte Ferne zweimal in ihrem Leben gesehen. Nur zweimal. Papa sagte, dass sie
keine fremden Orte kennen lernen müsse und dass sie kochen und sich um die
Ziegen und die Beete ihrer Mutter kümmern solle.
    Die langsame Melodie eines
Purpurschwänzchens lockte sie vom Weg. Also folgte sie dem Klang und dem
fröstelnden Gefühl durch die kalte Nachtluft, die dafür sorgte, dass sich die
Federn des Vogels aufrichteten. Sie entdeckte ihn als Silhouette vor der
Scheibe des großen gelben Mondes, blieb stehen und lauschte mit geschlossenen
Augen, um besser hören zu können. Der Vogel war selbstbewusst und sah vom Baumwipfel
hinab über das ganze Land.
    Die Zeit glitt an Sadima vorbei wie das
Wasser eines Baches. Erst als das Grau des Himmels heller wurde, merkte Sadima,
wie die Minuten verstrichen waren. Sie löste
sich mit einem Ruck, senkte ihren Blick und streck te sich. Und erst in
diesem Augenblick sah sie das Wolfsjunge. Es saß neben dem Eingang einer Höhle,
einem niedrigen
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