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Die Gabe der Amazonen

Die Gabe der Amazonen

Titel: Die Gabe der Amazonen
Autoren: Ulrich Kiesow
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wenn ich ihm wieder begegnet bin, war nichts Fremdes zwischen uns getreten. Wir konnten uns an einen Tisch setzen und ein Gespräch fortsetzen, das wir vor Jahren unterbrochen hatten, weil Viburn damals wieder einmal ›ganz dringend frische Luft schnappen‹ mußte.
    Ihm hatte ich es zu verdanken, daß mir jetzt die Lärchenzweige das Gesicht zerkratzten. Als ich ihn in einer Schenke in Havena traf, hatte er nämlich gerade ›eine tolle Sache aufgetan‹. Wie gewöhnlich war Viburn auf ungewöhnliche Weise an die tolle Sache geraten:
    Fürst Halman ui Bennain von Albernia besuchte gern verkleidet die übelsten Kaschemmen seiner Residenzstadt Havena. Er liebte diesen Hauch von Abenteuer und auch die Frauen der Nacht, die sich so sehr von seiner eigenen und den Hofdamen unterschieden. Halmans heimliche Ausflüge waren natürlich in der Unterwelt bekannt, und die Wirte sorgten dafür, daß der Fürst an kernigen Raufereien teilnehmen und geheimnisvollen Frauen begegnen konnte. Mein Freund Viburn nun wollte dem Fürsten zu einem Abenteuer eigener Art verhelfen: einem echten Raubüberfall. Der Plan konnte gar nicht schiefgehen. Zuerst kippte Viburn den beiden Leibwächtern des Fürsten, die Halman – ebenfalls verkleidet – auf allen Ausflügen begleiteten, ein Schlafpulver ins Bier. Dann brauchte er nur noch abzuwarten, bis sich der Fürst in den frühen Morgenstunden – und notgedrungen ohne Geleit – auf den Heimweg machte. In einer dunklen Gasse sprang Viburn aus dem Schatten, hielt dem schwankenden Fürsten einen Dolch an die Kehle und sprach das klassische »Geld oder Leben!« Fürst Bennain prallte erschrocken zurück, tastete mit der Linken verzagt nach seinem Beutel, packte aber plötzlich mit der Rechten Viburns Hand, preßte sie erbarmungslos zusammen und erwiderte »Weder – noch!«
    Fürst Bennain kommt durch keine Tür, ohne sich zu bücken, ist fast so schwer wie ein Pferd und so kräftig wie ein Stier. Das sind die wesentlichen Voraussetzungen, die Viburn bei seinem Plan nicht berücksichtigt hatte.
    Tags darauf wurde Viburn aus dem Kerker und vor den Fürsten gezerrt. Der Hauklotz war aufgestellt, ein vermummter Mann mit einer Axt stand bereit. Auch wenn Viburn wußte, daß man es nach albernischem Recht nicht auf seinen Kopf, sondern nur auf seine rechte Hand abgesehen hatte, verspürte er doch ein flaues Gefühl im Magen.
    Fürst Bennain stand, flankiert von mehreren Höflingen, vor dem Klotz und blickte Viburn finster entgegen. Der Streuner wurde von drei Soldaten unerbittlich vorwärts geschoben. Da trat eine stattliche Frau hinaus auf den Burgplatz, auf dem die Bestrafung stattfinden sollte. Sie hob die Hand. »Halt, ich will vorher noch ein paar Worte mit dem Schurken reden.« Sie wandte sich Viburn zu. »Was hast du verbrochen?«
    »Er hat mich überfallen, und dafür muß er jetzt bezahlen«, knurrte der Fürst. »Am besten gehst du wieder hinein, meine Liebe.«
    Die Dame – offenbar die Fürstin selbst – ließ sich nicht abweisen. »Dich habe ich nicht gefragt, Halman, mein Lieber, ich will es von ihm hören.« Sie deutete auf Viburn. »Also sprich: Wie hat sich die Sache zugetragen? War mein Mann etwa allein? Wo bist du ihm begegnet, und wann ist das geschehen?«
    Viburn setzte zu einer Antwort an, da erspähte er aus den Augenwinkeln ein seltsames Zucken im Gesicht des Fürsten. Er schaute genauer hin. Nein, es konnte keinen Zweifel geben: Fürst Bennain zwinkerte ihm zu.
    »Willst du endlich reden? Darf es wahr sein? Jetzt feixt dieser Schurke sogar!« Die Fürstin rauschte heran, und Viburn brachte blitzschnell seine Gesichtszüge in Ordnung. Er fühlte sich seltsam beschwingt. Wenn er jetzt keinen Fehler machte, dann war er gerettet. Er räusperte sich. »Ich will Euch alles gestehen, edle Dame, und nichts verschweigen. Das schwöre ich bei allem, was mir heilig ist ...« Zeit gewinnen, dachte Viburn, Zeit gewinnen. »So also hat es sich zugetragen ...: Die Sonne war eben untergegangen, da sah ich den Fürsten vor dem Praiostempel – im Gespräch mit einigen Ratsherren. Zwei Wächter standen an seiner Seite, schwer bewaffnet!« Fürst Bennain nickte unmerklich, und Viburn fuhr fort: »Ich wartete, bis das Gespräch zu Ende war und der Fürst seine Schritte zum Palast lenkte. Es dauerte eine Weile, denn die Herren disputierten hitzig und verbissen. Endlich trennten sie sich. Der Fürst und die beiden Wachen schlugen den Weg zum Palast ein. Ich schlich ihnen nach. In einer dunklen
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