Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Gabe der Amazonen

Die Gabe der Amazonen

Titel: Die Gabe der Amazonen
Autoren: Ulrich Kiesow
Vom Netzwerk:
um die Elfenhälfte, der menschliche Anteil war nie viel wert. Hast du überhaupt in deinem Leben als Kiefernzapfensammler jemals mehr als zehn Dukaten auf einem Haufen gesehen?«
    »Siebzig.«
    Viburn trank sein Bier aus und sprang auf. »Ins Ohr geflogen und von dort mitten ins Hirn. Es ist ein Jammer! Dreißig!«
    »Fünfundsechzig.«
    »Einunddreißig.«
    Als wir uns schließlich einigten, waren wir schon ziemlich betrunken. Der Wirt fing eben an, die ersten Gäste zur Tür hinaus in die kalte, unfreundliche Nacht zu stoßen. Da Viburn und ich in einem stillen Winkel saßen, hätten wir uns noch eine Weile im Goldenen Drachen halten können, aber wir beschlossen, vernünftig zu sein, denn schließlich stand uns eine lange und schwere Reise bevor – und außerdem rückte der Wirt ohnehin kein Bier mehr heraus.
     
     
     

 
     
    Die Mädchen hatten eine glückliche Kindheit. Fast täglich zogen sie hinaus auf die Jagd. Sie ritten auf den stolzesten Pferden, und Hana, unsere Schwertmeisterin, gab ihr ganzes Wissen an Ulissa und Yppolita weiter. Bald schwang Ulissa den schweren Reitersäbel schnell wie der Wind, und Yppolita konnte ein Schilfrohr mit einem Hieb der Länge nach spalten. Früh schon wurde Yppolita auch in Staatsgeschäften unterwiesen, da sie eines Tages den Thron der Mutter besteigen sollte.
     
    Während des Vormittags ließ der Regen nach. Als die letzten Tropfen fielen, sprangen plötzlich Böen auf. Bald zerriß ein kräftiger Wind die bleierne Wolkendecke. Kalt pfiff er zwischen knarrenden Stämmen hindurch; hoch über unseren Köpfen stießen dürre Zweige klappernd aneinander.
    Larix sog prüfend die würzige Luft ein. »Heute nacht gibt es den ersten Frost«, stellte er fest. »Es riecht nach Firuns Atem.«
    Unser Weg führte uns durch einen kahlen Kalkbuchenwald. Die mächtigen, weißgefleckten Baumstämme standen in großen Abständen, und wir kamen gut voran. Zu unserer Rechten stiegen, von den Baumwipfeln halb verdeckt, die düsteren Gipfel der nördlichen Trollzacken auf, zur Linken öffnete sich vor unseren Blicken das weite Tal zwischen dem Massiv der Trollzacken und den südlichen Ausläufern der Schwarzen Sichel. Wir konnten viele Tagesreisen weit nach Norden sehen, sogar die Straße von Wehrheim nach Warunk war gut zu erkennen. Längs dieser Straße wirkten die einsamen Gehöfte der mutigen Einödbauern wie aufgereiht, winzige Häuschen mit erdig-braunen Strohdächern, die einem Beobachter niemals aufgefallen wären, hätte nicht jedes von ihnen inmitten einer kleinen Rodung gestanden.
    Wie kleine Brandflecken im dicken braungrünen Wolltuch des Waldes markierten die Äcker der freien Bauern den gewundenen Verlauf der Straße. Und über allem lag ein Muster aus Schatten und gemächlich über die Landschaft treibenden Inseln aus Sonnenlicht. Hoch in der Luft zogen zwei riesige Bergadler ihre Bahn. Bisweilen wehten ihre langgezogenen, schrillen Schreie heran. Es lag eine seltsame Sehnsucht in diesen Rufen, gerade so, als ob die Könige der Lüfte der Welt von der grenzenlosen Einsamkeit der Erhabenen künden wollten. Manchmal hatte ich Mühe, schmerzvolle Tränen zu unterdrücken, wenn der Adlerruf an meine Ohren drang – undeutbare, namenlos drängende Wünsche stiegen dann in mir auf.
    Unwillkürlich verhielt ich meinen Schritt, und Elgor von Bethana trat mir schmerzhaft in die Hacken. »Verdammt, Arve, kannst du nicht aufpassen«, schimpfte er, anstatt sich bei mir zu entschuldigen – so ist es eben Kriegerart.
    Elgor machte es einem nicht leicht, ihn zu mögen. Wenn ich nur an den Abend in Rommilys denke: Viburn hatte einen betrunkenen Waldelf aufgetrieben und an unseren Tisch geschleppt, eine abstoßende, sabbernde Gestalt. Der Bursche hatte sich fast um den Verstand gesoffen – von der Würde seines Volkes war ihm nichts geblieben, aber er hatte schon einmal vor den Mauern von Kurkum gestanden und wußte erstaunliche Dinge vom Amazonenreich zu berichten. Unser ›Verhör‹ ließ sich prächtig an, schließlich waren Viburn und ich nicht unerfahren in solchen Dingen: eine Auskunft für einen Becher Rommilys-Bier (ein abscheuliches Gesöff, das aus vergorenem Gerstenbrot hergestellt wird).
    Natürlich merkte der Waldelf nichts von unserer Verhörmethode. Für ihn war das Ganze eine lockere Plauderei, die von gelegentlichen Trinkpausen unterbrochen wurde, wenn er vom Thema abkam. Bald hatte er es gelernt, den Bierfluß gleichmäßig zu steuern.
    So erfuhren wir, daß beim
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher