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Die Gabe der Amazonen

Die Gabe der Amazonen

Titel: Die Gabe der Amazonen
Autoren: Ulrich Kiesow
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Ein seltsamer Mensch!
     
    Inzwischen war es Mittag geworden. Als Larix zum dritten Mal nach einer Rast verlangte, gaben wir ihm nach. Wir beschlossen, kein Feuer anzuzünden – das bedeutete kalte Kost: Brot, Käse und für jeden einen kleinen Bissen Räucherfleisch. Auf das Fleisch mußten wir jedoch verzichten, denn es erwies sich, daß die nächtlichen Diebe auch an unserem Schinkenrestchen Gefallen gefunden hatten. Die Entdeckung löste einen neuerlichen Tobsuchtsanfall bei Larix aus. Diesmal verstieg er sich sogar zu der Drohung, er wolle »die Burschen fangen, braten und mit Haut und Haaren verspeisen«. Mitten in seinen Verwünschungen brach er plötzlich ab. Ein stilles Lächeln huschte über sein rotes Gesicht.
    »Was meint ihr, ob die Diebe uns wieder gefolgt sind?«
    Ich zuckte die Achseln.
    Larix rieb sich die kurzen Hände. »Ich denke, ich werde den Strolchen heute nacht eine kleine Überraschung bereiten. Wartet's nur ab!«
    Als wir wieder aufbrachen, hatte der Wind alle Wolken vom Himmel gefegt. Die Sonne, die um diese Jahreszeit nicht mehr weit am Himmelsdach hinaufwanderte, schien gleißend hell. Der Wind kniff mir in die Wangen und trieb mir das Wasser in die Augen. Kein Zweifel, der Winter war eingekehrt. Seit unserer Rast gingen wir ständig bergab. Der Wald wurde wieder dichter, er bot jetzt einen guten Schutz gegen den Wind, aber er hemmte auch unseren Schritt. Uralte Stämme lagen kreuz und quer übereinander, mächtige Wurzelteller ragten so hoch auf wie kleine Häuser. In den Kratern, die sie gerissen hatten, standen kleine Teiche, gefüllt mit stillem, dunklem Wasser, auf dessen Grund sich träge, rotbäuchige Molche wälzten. Aus vermodernden Baumleibern sproß bleiches Dorngestrüpp. Als hätten spielende Kobolde sie dort aufgesteckt, standen dicht an dicht fleischfarbene Pilze mit schlaffen, großen Hüten auf dem schwarzen Holz. Über uns hatte das Rauschen des Sturmes zugenommen, aus der Ferne war mehrmals das Krachen schwer stürzender Bäume zu hören. Manchmal hört man einen Höfling oder Städter sagen, er liebe den Wald. Ich denke, solche Leute wissen nicht, wovon sie sprechen. Wenn man durch einen Wald geht, gibt er einem vor allem eines zu verstehen: ›Ich war schon hier, bevor du kamst, und ich werde hier sein, wenn du nicht mehr bist und niemand mehr da ist, der von dir spricht. Ich brauche dich nicht, ja, ich bemerke dich nicht einmal ...‹ Wie also kann man jemanden lieben, der einem so wenig Beachtung schenkt.
     
    Während wir uns mühselig einen Weg durch das vom steten Brausen des Windes erfüllte Waldesdunkel suchten, waren wir alle nach und nach still geworden, so als ob die abweisende Fremdheit des Waldes allmählich immer tiefer in unser Gemüt gesickert wäre. Mit einer unausgesprochenen Erleichterung registrierten wir nun, daß sich das Gehölz vor uns lichtete. Kräftiges Grün schimmerte durch die Stämme. Bald kamen wir an den Rand einer weiten Lichtung. Mitten auf der runden, smaragdgrünen Grasfläche standen drei schwarze Wölfe und blickten uns aufmerksam entgegen.
    Ich blieb stehen, wich aber zur Seite aus, weil ich nicht wieder Elgors Fußtritt spüren wollte.
    »Wölfe«, stellte der Ritter nüchtern fest, nachdem er neben mich getreten war.
    »Waldwölfe«, ergänzte ich, »die schlimmsten von allen.«
    Elgors Schwert glitt scharrend aus der Scheide. Inzwischen waren Junivera, Larix und Viburn herangekommen. In einem Halbkreis standen wir am Waldrand und betrachteten die reglosen Wölfe, die unsere Blicke starr erwiderten.
    Elgor trat auf die Lichtung hinaus. »Wir werden uns doch wohl nicht von drei räudigen Kötern aufhalten lassen!« rief er, hob das Schwert und ging mit ruhigen Schritten auf die Wölfe zu. Als er auf zehn Mannslängen herangekommen war, standen die Wölfe auf und trabten in den Wald hinein.
    »Na bitte!« sagte Elgor und winkte mit der Klinge. »Man muß ihnen nur zeigen, daß man keine Angst vor ihnen hat. Dann suchen sie sich eine leichtere Beute. Ich mag noch nicht oft im Wald gewesen sein, aber mit Wölfen kenne ich mich aus.«
    »Wir sollten ihnen den Esel überlassen«, entgegnete ich, »dann lassen sie uns wahrscheinlich in Ruhe.«
    Larix war empört. »Du täuschst dich! Hast du nicht gesehen, wie Elgor die Biester verscheucht hat? Laßt uns weitergehen.«
    Er gesellte sich zu Elgor, der noch immer in der Mitte der Lichtung stand. Gemeinsam mit Junivera und Viburn ging ich ihnen nach.
    »Es sind Waldwölfe«, beharrte
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