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Die Gabe der Amazonen

Die Gabe der Amazonen

Titel: Die Gabe der Amazonen
Autoren: Ulrich Kiesow
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er leise vor sich hin. Plötzlich schleuderte er ohne aufzublicken Viburn die leere Feldflasche an den Kopf. Der Havener riß gedankenschnell die Hände hoch und fing die Flasche in der Luft, knapp vor seinem Gesicht – aber er hätte besser nach unten geschaut. Denn nun war der Zwerg herangesprungen und säbelte ihm mit einem mächtigen Tritt die Beine weg. Viburn war kaum auf den Boden geprallt, da kniete der Zwerg schon auf seiner Brust.
    Die Linke hatte er in Viburns dunkelblonde Locken gekrallt, die Rechte umklammerte einen Hammer, zum Schlag erhoben. Larix' Gesicht war dunkelrot angelaufen, die schwarzen Brauen sträubten sich wie erschreckte Kiefernspanner, die kleinen blauen Augen funkelten aus schmalen Schlitzen. »Nun wiederhol es, Streuner, was ist mit meinem Schwert?«
    Viburn versuchte es mit einem Lächeln, entschied sich aber schnell um und setzte eine jämmerliche Miene auf. »Meine Rippen!« keuchte er. »Larix, Sohn des Juglans, du drückst mir den Brustkorb ein!«
    »Was hast du über Kaladon gesagt?«
    »Über wen?«
    »Kaladon, das Schwert meiner Väter. Du hast es beleidigt!«
    Viburn stieß ein gepreßtes Lachen aus. »Wie kann man ein Schwert beleidigen?« japste er.
    Dem Burschen war nicht mehr zu helfen.
    Larix hob den Fausthammer noch ein Stück höher. Wahrscheinlich hätte er Viburn tatsächlich erschlagen, wenn Junivera nicht eingeschritten wäre. Junivera und Elgor hatten den Streit von ihren Schlafplätzen aus beobachtet.
    »Larix, was ist geschehen?« fragte Junivera.
    »Der Streuner hat mich beleidigt!«
    »Das meine ich nicht. Ich rede von deinem Geschrei zuvor und deinen lästerlichen Flüchen. Wer hat etwas gestohlen?«
    Larix ließ den Hammer sinken und schüttelte den Kopf. »Das hätte ich fast vergessen«, murmelte er. »Mein Schwert. Die Schurken haben Kaladon gestohlen.« Er gab Viburn frei, und der Havener sprang auf.
    »Ich werde mal schauen, ob ich eine Spur entdecke!« rief er und war schon im Gebüsch verschwunden.
    Elgor von Bethana legte sein Kettenhemd an, während Junivera den mit Löwinnen bestickten Schal der Rondrageweihten um ihre Schultern drapierte.
    »Sicher waren es dieselben Strolche wie letzte Nacht«, sagte ich. »Gestern Juniveras Reisemantel und mein Bogen und nun Larix' Schwert. Sie scheinen uns gefolgt zu sein.«
    »Ich hatte die vorletzte Wache«, brummelte Larix halb zu sich selbst. »Da war Kaladon noch da. Wer hatte die letzte Wache?«
    Ich biß mir auf die Lippen, aber Junivera sprach den Namen aus: »Viburn.«
    Larix schaute sich nach allen Seiten um, aber der Havener war nirgendwo zu sehen.
    Der Krieger Elgor hakte die Schnalle des Schwertgürtels ein, dann gesellte er sich zu uns. »Wenn ihr nicht so langsam marschiert wäret, hätten die Diebe uns nicht folgen können«, sagte er.
    Immer wenn die Rede auf unser langsames Marschtempo kam, fühlte Larix sich angesprochen. »Wenn du uns nicht geraten hättest, die Straße zu verlassen und quer durch den Wald zu trotten, wären wir längst am Ziel«, entgegnete er.
    Elgor öffnete den Mund, aber Junivera schnitt ihm das Wort ab: »Diese ewigen Streitereien bringen uns nicht weiter. Entweder brechen wir jetzt auf, oder wir bleiben und suchen nach den Dieben. Für eure Maulfechtereien ist unsere Zeit zu schade.«
    Weder Elgor noch Larix hielten dem ernsten Blick aus Juniveras braunen Augen stand. Der Zwerg begann leise fluchend seinen Packsack einzuräumen. »Es kann Tage dauern, bis wir die Diebe finden«, murmelte er. »Ich bin dafür, daß wir weiterziehen.«
    Ich stimmte ihm zu und sprang auf. »Ich werde Viburn zurückholen.«
    Inzwischen war es hell geworden, und so dauerte es nicht lange, bis ich ihn gefunden hatte. Viburn kniete an einem Bachlauf auf dem Boden und untersuchte einen Fußabdruck. Der Streuner hatte den Hut abgenommen, die langen Locken zurückgeworfen und hielt die kantige, leicht gebogene Nase dicht über dem Boden. In der Nacht war ein wenig Schnee gefallen. Seit dem Morgengrauen regnete es zwar, aber auf den dickeren Ästen, den ledrigen Blättern der Stechpalmen und auf einigen Stellen am Boden war der Schnee noch nicht geschmolzen. Mitten in einem solchen Schneefleck war ein deutlicher Fußabdruck erkennbar. Offenbar handelte es sich um einen schmalen, nicht sehr großen Menschenfuß. Die Zehen wiesen zum Bach.
    »Schau dir das an«, sagte Viburn, »diese armseligen Strolche stapfen barfuß durch den Schnee.«
    »Wohin führt die Spur?« fragte ich.
    »Keine Ahnung. Das
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