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Die Furcht des Weisen / Band 2: Die Königsmörder-Chronik. Zweiter Tag

Die Furcht des Weisen / Band 2: Die Königsmörder-Chronik. Zweiter Tag

Titel: Die Furcht des Weisen / Band 2: Die Königsmörder-Chronik. Zweiter Tag
Autoren: Patrick Rothfuss
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lange hielten die Männer im Durchschnitt aus, bevor ihr Wille brach und sie zu schwanzwedelnden Hunden wurden? Lange jedenfalls nicht.
    Und wen konnte sie im Wald kennenlernen? Bauern und Jäger? Welche Unterhaltung konnten solche Menschen ihr bieten, sklavisch an ihre Leidenschaft gefesselt? Einen Augenblick lang verspürte ich Mitleid. Ich weiß, was Einsamkeit ist.
    Ich nahm die Laute aus dem Kasten und stimmte sie. Dann schlugich versuchsweise einen Akkord an und stimmte nach. Was sollte ich für die schönste Frau der Welt spielen?
    Im Grund fiel mir die Entscheidung nicht schwer. Von meinem Vater hatte ich gelernt, mein Publikum einzuschätzen. Ich stimmte also das Lied von den Schwestern Flin an. Wahrscheinlich kennt ihr es nicht. Es ist ein lebhaftes, fröhliches Lied über zwei Schwestern, die sich über den Preis der Butter streiten und dabei allerlei Klatsch austauschen.
    Die meisten Menschen hören am liebsten Lieder über legendäre Liebende oder Abenteurer. Aber was spielt man für eine Frau, die selbst eine Legende ist? Über die seit undenklichen Zeiten Liebeslieder geschrieben werden? Ein Lied, das von ganz gewöhnlichen Menschen handelt. Jedenfalls hoffte ich es.
    Als ich geendet hatte, klatschte Felurian begeistert. »mehr bitte, ja?« Sie lächelte hoffnungsvoll, legte bittend den Kopf schräg und sah mich mit großen Augen voller eifriger Bewunderung an.
    Ich spielte
Larm und der Bierhumpen
und
Die Töchter des Hufschmieds
. Anschließend spielte ich ein albernes kleines Lied über einen Priester, der einer Kuh hinterher jagt. Ich hatte es mit zehn Jahren geschrieben und ihm nicht einmal einen Titel gegeben.
    Felurian lachte und klatschte. Dann wieder schlug sie erschrocken die Hand vor den Mund oder hielt sich verlegen die Augen zu. Je länger ich spielte, desto mehr erinnerte sie mich an eine junge Frau vom Land, die zum ersten Mal einen Jahrmarkt besucht und auf deren Gesicht sich reinste Freude, unschuldiges Entzücken und Staunen über das Gesehene malen.
    Wie schön sie dabei aussah. Ich konzentrierte mich auf meine Finger, um mich abzulenken.
    Jedes Lied belohnte sie mit einem Kuss, nach dem es mir schwer fiel zu entscheiden, was ich als Nächstes spielen sollte. Nicht dass mich das weiter gestört hätte. Mir wurde schnell klar, dass mir Küsse noch lieber waren als Geld.
    Ich spielte
Tinker Tanner
für sie, und ich sage euch eins: Ich werde das Bild Felurians und die leise, flötengleiche Stimme, mit der sie den Refrain meines liebsten Trinklieds mitsang, nie vergessen. Bis an das Ende meiner Tage nicht.
    Beim Spielen spürte ich, wie der Zauber, in dem sie mich gefangen hielt, langsam verging. Ich bekam wieder Raum zum Atmen. Meine Anspannung ließ nach, und ich wagte mich ein wenig aus meinem Panzer des Steinernen Herzens hervor. Ein Zustand der leidenschaftslosen Ruhe kann sehr nützlich sein, ist aber bei einem mitreißenden Vortrag eher hinderlich.
    Ich spielte stundenlang, und danach war ich wieder ich selber. Anders ausgedrückt, ich konnte Felurian ansehen, wie man eben die schönste Frau der Welt ansieht.
    Ich erinnere mich noch genau, wie sie nackt zwischen den Kissen saß und in der Luft zwischen uns nachtblaue Schmetterlinge tanzten. Natürlich erregte mich der Anblick, wie hätte es anders sein können, aber mein Verstand gehörte Gott sei Dank wieder mir.
    Als ich die Laute in den Kasten zurücklegte, murmelte Felurian enttäuscht etwas. »bist du müde?«, fragte sie mit einem feinen Lächeln. »wenn ich das gewusst hätte, süßer sänger, hätte ich dich mehr geschont.«
    Ich lächelte entschuldigend, so gut ich konnte. »Tut mir leid, aber es scheint schon spät zu sein.« Am Himmel war noch dasselbe purpurne Dämmerlicht zu sehen wie beim Aufwachen. Trotzdem fuhr ich fort: »Ich muss aufbrechen, wenn ich die anderen …«
    Ich verstummte wie betäubt, als hätte mir jemand einen Schlag auf den Hinterkopf versetzt. Zugleich verspürte ich ein heftiges, unersättliches Begehren. Ich wollte Felurian besitzen, ihren Körper an mich pressen, die wilde Süße ihres Mundes schmecken.
    Nur meine Ausbildung als Arkanist rettete mich vor vollkommener Besinnungslosigkeit. Mühsam klammerte ich mich an einen letzten Rest eigener Identität.
    Felurian saß mir mit gekreuzten Beinen gegenüber. Auf ihrem Gesicht lag ein schrecklicher Zorn, und ihre Augen blickten so kalt und hart wie ferne Sterne. Ganz langsam strich sie sich einen flügelschlagenden Schmetterling von der Schulter.
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