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Die Furcht des Weisen / Band 2: Die Königsmörder-Chronik. Zweiter Tag

Die Furcht des Weisen / Band 2: Die Königsmörder-Chronik. Zweiter Tag

Titel: Die Furcht des Weisen / Band 2: Die Königsmörder-Chronik. Zweiter Tag
Autoren: Patrick Rothfuss
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Verdienst anrechnen darf. Jedenfalls erzählt man sich seither, ich hätte den Blitz gerufen und er sei gekommen.
    Den Berichten der anderen zufolge schlug der Blitz nicht einmal, sondern mehrmals in rascher Folge ein. Dedan beschrieb ihn als »Säule aus weißem Feuer« und sagte, der Boden habe heftig gebebt und ihn umgerissen.
    Wie auch immer, jedenfalls blieb von der mächtigen Eiche nur ein verkohlter Stumpf in Höhe eines Grausteins übrig. Überall lagen Trümmer des Baums. Auch einige kleinere Bäume und Büsche hatten Feuer gefangen, das jedoch vom Regen gelöscht worden war. Die meisten der langen Bretter, mit denen die Banditen ihr Lager befestigt hatten, waren in tausend Splitter zerborsten oder zu Kohle verbrannt. Vom Fuß des Baums aus durchzogen tiefe Furchen die Erde. Die Lichtung sah aus, als habe ein Wahnsinniger sie umgepflügt oder ein riesiges Tier sie mit seinen Klauen verwüstet.
    Trotzdem blieben wir nach unserem Sieg drei Tage lang im Lager der Banditen. Der Bach versorgte uns mit Wasser, außerdem konnten wir, was vom Proviant der Banditen noch übrig war, gut brauchen. Wir konnten auch einiges Segeltuch und Holz aus den Trümmern retten, so dass jeder in den Genuss eines Zelts oder wenigstens Schutzdachs kam.
    Nachdem wir unseren Auftrag ausgeführt hatten, lösten sich auch die Spannungen innerhalb unserer Gruppe. Es hörte auf zu regnen, und wir konnten nach Herzenslust Feuer machen, ohne fürchten zu müssen, von den Banditen entdeckt zu werden. Martens Husten besserte sich, Dedan und Hespe zankten sich nicht mehr, und Dedan hatte nur noch vergleichsweise selten etwas an mir auszusetzen.
    Trotz unserer Erleichterung, dass alles vorbei war, blieben einige Schatten. Abends wurden keine Geschichten mehr erzählt, und Marten mied mich, so gut es ging. Ich konnte es ihm angesichts dessen, was er gesehen hatte, nicht verdenken.
    Nicht zuletzt deshalb vernichtete ich bei der ersten Gelegenheit die Wachspuppen, die ich angefertigt hatte. Ich brauchte sie nicht mehr, und meine Gefährten sollten sie auf keinen Fall in meinem Reisesack finden.
    Tempi schwieg darüber, was ich mit der Leiche des Banditen gemacht hatte, und schien es mir auch nicht übel zu nehmen. Erst im Rückblick wird mir klar, wie wenig ich den Adem in Wirklichkeit verstanden habe. Damals merkte ich nur, dass er mir nicht mehr so oft beim Üben des Ketan half und stattdessen mehr unsere Sprache lernte und mit mir über Lethani sprach, das mir allerdings nach wie vor in vielem rätselhaft blieb.
    Am zweiten Tag holten wir die Sachen aus unserem alten Lager. Ich war erleichtert, meine Laute wieder zu haben, und doppelt froh, dass Dennas wunderbarer Kasten trotz des endlosen Regens dicht gehalten hatte.
    Und da wir ja nicht mehr leise sein mussten, spielte ich. Einen ganzen Tag lang tat ich kaum etwas anderes. Ich hatte seit fast einem Monat keine Musik mehr gemacht und darunter mehr gelitten, als ihr euch vorstellen könnt.
    Anfangs hatte ich den Eindruck gehabt, dass Tempi sich nichts aus Musik machte. Ich hatte ihn einmal aus einem mir unklaren Grund durch meinen Gesang beleidigt, und er verließ regelmäßig das Lager, wenn ich meine Laute herausnahm. Doch dann bemerkte ich, dass er mir beim Spielen zusah, wenn auch aus sicherer Entfernung und meist hinter Büschen versteckt. Auf ihn aufmerksam geworden,stellte ich fest, dass er mir jedes Mal beim Spielen zuhörte. Er stand bewegungslos wie ein Stein und hatte die Augen aufgerissen wie eine Eule.
    Am dritten Tag erklärte Hespe, sie könne mit ihrem Bein wieder gehen. Wir mussten also überlegen, was wir mitnehmen und was wir im Lager lassen wollten.
    Die Entscheidung war leichter als erwartet. Die meiste Habe der Banditen war durch den Blitz, den umstürzenden Baum und das Unwetter zerstört worden. Doch die Ruinen des Lagers bargen auch noch manchen wertvollen Gegenstand.
    Das Zelt des Anführers hatten wir bisher nicht durchsuchen können, weil es unter einem dicken Ast der Eiche begraben war. Der Ast war mit über zwei Fuß Durchmesser dicker als so mancher Baum. Am dritten Tag hatten wir ihn endlich so weit zerkleinert, dass wir ihn von dem zerstörten Zelt herunterrollen konnten.
    Ich wollte mir unbedingt die Leiche des Anführers genauer ansehen, denn etwas an ihm war mir vom ersten Augenblick an vage bekannt vorgekommen und ließ mir seitdem keine Ruhe. Meine Neugier hatte aber auch noch einen praktischeren Grund: Sein Kettenhemd war mindestens ein Dutzend Talente
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