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Die fünfte Kirche

Die fünfte Kirche

Titel: Die fünfte Kirche
Autoren: Phil Rickman
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Automatentee schmeckt, hab ich recht?» Sie winkte eine der Schwestern herbei. «Kirsty, bring doch Mr.   Parry in mein Büro und mach ihm einen Spezialtee. Das Zeug ist in meinem Schreibtisch, unterste Schublade.»
    Gomer sah Merrily an. Sie wollte ihm folgen, aber Cullen hob abwehrend die Hand. «Nichts für Sie, Frau Pfarrer. Du hast deinen Gott, um dich bei Laune zu halten. Hast du mal eine Minute?»
    «Eine Minute?»
    «Zu schade, dass du deine Uniform nicht anhast   … aber schließlich zählt ja die innere Heiligkeit. Die Sache ist die: Wir haben hier einen armen Kerl, der ziemlich verzweifelt ist, und wir werden mehr als einen Spezialtee brauchen, um mit ihm fertig zu werden, wenn du verstehst, was ich meine.»
    Merrily runzelte die Stirn und musste unweigerlich an die erste Begegnung mit Eileen Cullen denken, drüben im Hereford General, das früher eine Irrenanstalt und einen Abend lang in Gefahr gewesen war, wieder eine zu werden.
    «Oh nein», sagte Cullen, «so einen wie den hat man nur einmal im Leben. Der hier ist noch nicht mal Patient. Ich weiß ja nicht, auf welcher Seite des Zauns Gomer steht, aber ich würde sagen, der andere Kandidat ist ein ziemlich religiöser Typ und kann spirituelle Unterstützung gebrauchen.»
    «Für eine Atheistin hast du ziemlich viel Vertrauen in Pfarrer.»
    «Nein, ich habe Vertrauen in Pfarrer
innen
, und das hat nicht besonders viel damit zu tun, dass sie Pfarrer sind.»
    «Und was hättest du gemacht, wenn ich nicht hier wäre?»
    Cullen stemmte die Hände in ihre schmalen Hüften. «Na, du
bist
aber hier, Schätzchen, also brauchen wir darüber nicht zu reden.»
     
    Der Flur hatte rissige Wände und war trübe beleuchtet.
    «Ich wäre wirklich froh, aus dieser Bruchbude rauszukommen», sagte Cullen, «wenn ich nicht so sicher wäre, dass diese verdammten Anzugträger uns gleich den nächsten Albtraum bauen.»
    «Wie heißt der Typ nochmal?»
    «Mr.   Weal.»
    «Vorname?»
    «Wissen wir nicht. Er ist nicht besonders mitteilsam.»
    «Na, wunderbar. Hat er schon mit Paul Hutton gesprochen?» Das war der Krankenhausgeistliche.
    «Vielleicht.» Cullen zuckte mit den Schultern. «Ich weiß es nicht. Aber du bist gerade vor Ort und er nicht. Ich dachte   … vielleicht kannst du ein oder zwei Gebete sprechen. Er ist übrigens Waliser.»
    «Was hat denn das damit zu tun?»
    «Na ja, die sind doch ein bisschen speziell. Da musst du dich auf dein Gefühl verlassen.»
    «Du meinst, falls er sich weigert, englisch mit mir zu sprechen?»
    «Nein,
so
ein Waliser ist er nicht. Er kommt aus Radnorshire. Das ist einen Kilometer hinter der Grenze, wenn überhaupt.»
    «Also ist er fast normal.»
    «Hmm.» Cullen lächelte. Merrily folgte ihr in einen besser beleuchteten Teil des Krankenhauses, mit Vierbettzimmern zu jederSeite, in denen vor allem ältere Frauen lagen. Ein kleiner Junge schlurfte durch eine Tür und stopfte mit grimmiger Miene Chips in sich hinein.
    «Also, was ist mit Mrs.   Weal?»
    «Schlaganfall.»
    «Schlimm?»
    «Kann man wohl sagen. Oh, und nachdem du ein kleines Gebet mit ihm gesprochen hast, könntest du noch einen Kaffee mit ihm trinken gehen.»
    «Eileen   –»
    «Was Besseres kann man als Christ jetzt nicht tun», sagte Cullen mit milder Stimme.
    Sie kamen ans Ende des Gangs. Cullen öffnete eine Tür und trat zurück. Sie ging nicht mit Merrily in das Zimmer.
     
    Merrily war sehr schnell wieder auf dem Flur und zog die Tür hinter sich zu. Sie lehnte sich an die Wand. Ihre Lippen formten Worte, aber es war nichts zu hören.
    Sie ist tot.
    Cullen zuckte mit den Schultern. «Das siehst du doch nicht zum ersten Mal, oder?»
    «Das hättest du mir vorher sagen können.»
    «Ich hätte schwören können, dass ich es dir gesagt habe. Sorry.»
    «Und jetzt?»
    «Aah.»
    «Genau.» Vor Merrilys Augen lief in unscharfen Bildern noch einmal ab, was sie gesehen hatte, wie ein Überfall, der von einer Überwachungskamera aufgenommen worden war: das zurückgeschlagene Bettzeug, das weiße Baumwollnachthemd, das von den Schultern des Leichnams heruntergerutscht war. Der Mann neben dem Bett, der sich über seine Frau beugte – schwer wie ein Bär, einunbeholfenes Raubtier. Er hatte sich nicht umgedreht, als Merrily hereinkam, und auch nicht, als sie wieder hinausging.
    Sie bewegte sich schnell, um den Schock abzuschütteln, und zog Eileen Cullen einige Meter den Flur hinunter. «Was in Gottes Namen hat er
gemacht

    «Tja», sagte Cullen, «jetzt wäscht er
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