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Die fünfte Kirche

Die fünfte Kirche

Titel: Die fünfte Kirche
Autoren: Phil Rickman
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Hochhaus zu erreichen.
    Merrily ärgerte sich über die Gedankenlosigkeit aller Beteiligten: über die Gesundheitsbehörde mit ihrem unangemessenen Bettenkontingent, die Stadtplaner, die so korrupt waren, dass Hereford spätestens 2005 kollabieren würde – und über Gott, der Minnie Parry am Spätnachmittag ihres sechsten Hochzeitstages einen schweren Herzinfarkt erleiden ließ.
    Es war wahrscheinlich das erste Mal überhaupt gewesen, dass Gomer Merrily angerufen hatte – der Bungalow der Parrys lag nur ein paar Gehminuten entfernt. Es war weniger als zwei Stunden zuvor passiert, während Merrily im Wohnzimmer des Pfarrhauses gerade Feuer machte und auf Jane wartete, die bald zu Hause sein wollte. Gomer hatte schon einen Krankenwagen gerufen.
    Als Merrily ankam, saß Minnie auf der Kante des Sofas, blass und schwitzend und atemlos.
«Machen Sie sich   … um mich keine Sorgen, meine Liebe, ich hab schon   … Schlimmeres durchgemacht als das hier.»
Neben ihr lag auf einem Kissen die Fernsehzeitschrift. Auf dem Tisch vor dem offenen Kamin stand eine Tiefkühl-Biskuittorte. Das Feuer flackerte lebhaft. Zwei Tassen Tee waren kalt geworden.
    Merrily biss sich auf die Lippe und bohrte ihre Fäuste tief in die Taschen ihres Mantels   – Janes alter Schul-Dufflecoat, nach dem sie schnell gegriffen hatte, als sie aus dem Haus gelaufen war.
    Jetzt gingen sie auf die Bushaltestelle an der Commercial Road zu. Die Läden schlossen gerade. Der Himmel war grauschwarz, seine Farbe erinnerte an Fäule. Gomers kleine runde Brillengläserspiegelten die Lichter der Stadt wider. Er dachte angespannt zurück, erbaute eine Wand lebhafter Erinnerungen gegen die aufkommende Dunkelheit – erzählte Merrily von dem ersten Abend, an dem er Minnie den Hof gemacht hatte, während sie mit seinem großen Bagger durch Felder und Wälder knirschten. Merrily fragte sich, ob er phantasierte, denn es war mit Sicherheit Minnie gewesen, die Gomers Rückzug aus seinem Landwirtschaftsbetrieb vorangetrieben hatte, sie hasste diese Bagger.
    «…   sicher, sie hat ein paar Pfunde zu viel, der Arzt hatte sie schon mal gewarnt wegen des Kollaterals, aber das hat doch jeder, oder nicht?»
    Gomer blieb schwer atmend an einem Fußgängerstreifen an der Commercial Road stehen. Merrily lächelte schwach. «Cholesterin. Ja, das hat jeder.»
    Gomer riss sich die Mütze vom Kopf. Seine Haare sahen aus wie eine kleine weiße Klobürste.
    «Sie wird sterben, sie kratzt mir ab, verdammt nochmal.»
    «Gomer, wir beten für sie.»
    Wie abgedroschen klang
das
denn? Merrily schloss für einen Moment die Augen und bat Gott um glaubwürdigere Worte des Trostes.
    Im Schaufenster eines nahe gelegenen Elektrogeschäftes gingen die Lichter aus.
    «Aahr», machte Gomer hoffnungslos.
     
    Über das Röhren von Eirions wegfahrendem Auto hinweg hörte man das Telefon klingeln. Jane tänzelte in das düstere Spülküchenbüro ihrer Mom.
    Das Licht hier drin war schwach und kalt. Aber Jane lächelte, sie fühlte sich warm und leicht und – als wäre sie
dort oben
. Dort oben auf dem Kirchturm, zusammen mit dem kaputten Wetterhahn.
    Sie musste sich setzen, hatte ein Zittern in der Brust. Ihr fiel die Tarot-Kartenleserin wieder ein, Angela, die zu ihr gesagt hatte:
«Du wirst zwei ernstzunehmende Liebhaber haben, bevor du zwanzig bist.»
    Als sie die Hand nach dem Telefon ausstreckte, hörte es auf zu klingeln. Wenn Mom ausgegangen war, warum war dann der Anrufbeantworter nicht an? Wo
war
Mom? Jane knipste die Schreibtischlampe an, die eine Taschenbuchausgabe des Neuen Testaments beleuchtete und einen aus der Zeitung ausgeschnittenen Artikel über Drogenhandel auf dem Land. Auf dem Predigtblock waren nur Flecken und Kritzeleien. Aber keine Notiz für sie.
    Jane zuckte die Achseln, setzte sich an den Schreibtisch und beschwor Eirions Bild herauf. Der nicht im
konventionellen
Sinne gut aussah. Na ja, eigentlich sah er überhaupt nicht gut aus, es kam auf das Licht an, und er war ein bisschen untersetzt. Trotzdem   … o.   k., es war sein Lächeln. Ein gutes Lächeln konnte manches ausgleichen, aber es war wichtig, es zu rationieren. Mach es zu oft, und es wirkt nur noch dumm. Und nach einer Weile sind die Augen nicht mehr beteiligt, sodass es unaufrichtig rüberkommt. Jane saß da und ließ Eirions Lächeln in Zeitlupe vor sich ablaufen; es war gut, es
begann
in den Augen.
    Eirion? Der Name blieb ein Problem. Vor allem, weil es zu sehr wie Irene klang. Die Waliser hatten
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