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Die fünfte Kirche

Die fünfte Kirche

Titel: Die fünfte Kirche
Autoren: Phil Rickman
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seine Frau, sodass nur noch ihr Gesicht zu sehen war. Sie sah jung genug aus, um seine Tochter zu sein, hatte hellbraunes Haar und war hübsch. Merrily stellte sich vor, wie er draußen auf seinem Traktor saß und daran dachte, dass sie zu Hause auf ihn wartete. Wahrscheinlich Ehefrau Nummer zwei.
    «Mr.   Weal – entschuldigen Sie, ich weiß Ihren Vornamen nicht   …»
    Sein Blick war auf den toten Körper gesenkt. Er trug einen grünen Anzug aus schwerem, filzigem Tweed. «Mister», sagte er ruhig.
    «Oh.» Sie trat vom Bett zurück. «Gut. Also   … es tut mir leid, ich will Sie nicht weiter stören.»
    Die nun eintretende Stille dauerte lange. Die Wasserschüssel ließ sie an ein Taufbecken denken, an letzte Rituale, die Taufe von Sterbenden. Dann schielte er über die Leiche zu ihr hin. Er blinzelte ein Mal – was merkwürdigerweise die Spannung zu mildern schien, und dann räusperte er sich.
    «Mein Name ist J.   W.   Weal.»
    Sie nickte. Es war offensichtlich ein Fehler gewesen, sich einfach nur mit Merrily vorzustellen, wie eine lästige Vertreterin am Telefon.
    «Wie lange waren Sie verheiratet, Mr.   Weal?»
    Wieder antwortete er nicht gleich, als müsse er ihre Frage sorgsam auf einen möglichen Hintersinn prüfen.
    «Neun Jahre, jedenfalls beinahe.» Seine Stimme war höher, als man bei seiner Größe erwartete, und weich.
    Merrily sagte: «Wir   … wissen nie, was uns erwartet.»
    Sie sah hinunter auf Mrs.   Weal, deren Gesicht irgendwie unentspannt aussah. Aber vielleicht übertrug Merrily ihre eigene Anspannung auf die tote Frau. Die wahrscheinlich in ihrem Alter war, Mitte, Ende dreißig? Vielleicht ein bisschen älter.
    «Sie ist   … sehr hübsch, Mr.   Weal.»
    «Warum sollte sie das auch nicht sein?»
    In seinen Augen erwachte ein mattes Licht, als wäre heiße Asche umgewälzt worden. Wahrscheinlich hatten die Leute geredet – J.   W.   Weal hat sich eine attraktive junge Frau genommen. Merrily fragte sich, ob es erwachsene Kinder von einer ersten Mrs.   Weal gab.
    Sie schluckte. «Gehören Sie, hm   … einer bestimmten Kirche an?»
    Cullen hatte recht, er sah danach aus, wenn auch vielleicht nur aus Tradition oder aus Respekt für die ländlichen Sitten.
    Mr.   Weal straffte sich. Sie schätzte, dass er an die zwei Meter groß war, und sein massiger Körperbau ließ Merrily an eine gemauerte Scheune denken. Seine Brauen waren zusammengewachsen und bildeten einen steingrauen Vorsprung über seinen Augen.
    «Das ist, denke ich, meine persönliche Angelegenheit, danke.»
    «Gut. Also   …» Sie räusperte sich. «Haben Sie etwas dagegen, wenn ich für sie bete? Vielleicht könnten wir   –»
    Zusammen beten, wollte sie sagen. Aber Mr.   Weal unterbrach sie, ohne laut zu werden, mit einer Stimme, die trotz ihrer Höhe Autorität ausstrahlte.
    «
Ich
werde für sie beten.»
    Merrily nickte, sie fühlte sich unfähig. Es war sinnlos. Es gab nichts mehr, was sie sagen oder tun könnte, nichts, was Eileen nicht besser konnte.
    «Also dann, es tut mir leid, dass ich mich eingemischt habe.»
    Er reagierte nicht – sah nur seine Frau an. Für ihn war schon niemand anders mehr im Raum. Merrily nickte, biss sich auf die Lippe und ging schweigend hinaus. Sie brauchte dringend eine Zigarette.
     
    «Nein?» Eileen Cullen stieß sich von der Wand ab.
    «Hoffnungslos.»
    Cullen führte sie den Flur hinunter, ein gutes Stück von der Tür weg.
    «Ich hatte gehofft, ihn hier wegzuhaben, bevor Mennas Schwester kommt. Ich bin heute Abend nicht in der Verfassung für Tränen und Schuldzuweisungen.»
    «Entschuldige – wessen Schwester?»
    «Mennas   – Mrs.   Weals. Die Schwester ist Mrs.   Buckingham, sie kommt aus dem Süden und ist pensionierte Lehrerin. Mit der istnicht gut Kirschen essen. Und sie und der Mann da drin können sich nicht ausstehen.»
    «Oh.»
    «Frag nicht. Ich weiß nicht, was da läuft. Und ich will es auch nicht wissen.»
    «Wie war Menna denn so?»
    «Das weiß ich auch nicht. Ich weiß nur, was geredet wird. Sie selbst hat nämlich nicht so wahnsinnig viel gesagt, als sie reinkam. Aber selbst, wenn sie hätte sprechen können, hätte sie wahrscheinlich nicht viel gesagt. Hat ihr Leben lang in der hintersten Provinz gelebt und sich um ihren alten Vater gekümmert, wie es von einem pflichtbewussten Kind erwartet wird, nachdem die ältere Schwester das Nest verlassen hat. Und als der Vater stirbt, heiratet sie ganz offensichtlich einen Vaterersatz. Traurige
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