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Die Frühreifen (German Edition)

Die Frühreifen (German Edition)

Titel: Die Frühreifen (German Edition)
Autoren: Philippe Djian
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null. Sie machte es kaum besser als ein Roboter.
    Manchmal wurde Andreas wütend und schickte sie mitten im Gefecht mit einem verächtlichen Knurren zum Teufel, und danach ließ er sich mit furchtbaren Bauchschmerzen aufs Bett – falls ein Bett da war – oder aber auf den Boden sinken, und dann konnte man nur noch eins für ihn tun: ihm so schnell wie möglich eine Cola bringen.
    Die beiden Jungen sahen ihre Hoffnung, daß Michèle etwas dazulernen könne, immer mehr dahinschwinden. Sie glaubten nicht mehr recht daran. Man hatte den Eindruck, daß sich Michèle für nichts interessierte – sie behauptete zwar das Gegenteil, aber die Tatsachen ließen sich eben nicht leugnen. »Abgesehen von dir selbst, meine ich«, sagte Andreas, um die Sache klarzustellen.
    Lisa hatte sie gewarnt. Sie hatte Michèle kurz beobachtet und ihnen dann viel Vergnügen gewünscht. Das war auf einer Fete, die die Aramentis auf Kosten des Studios in ihrem Haus veranstaltet hatten, um Bruce Willis und seiner Clique, die am folgenden Tag in die USA zurückkehrten, eine Freude zu bereiten.
    Michèle hatte alle möglichen Leute eingeladen und sich geschminkt. Sie war knapp so alt wie die beiden Jungen, aber im Licht der Scheinwerfer, die den Garten erhellten, wirkte sie wie eine Frau. Eine Frau, die sie, Lisa zufolge, enttäuschen würde. Eine Frau, die offensichtlich andere Dinge im Kopf hatte.
    Selbst wenn man Lisa tagelang löcherte, weigerte sie sich zu verraten, wie sie zu dieser Ansicht gekommen war, aber sie machte den Eindruck, den förmlichen Beweis dafür zu haben, schien die Gabe zu besitzen, das Unsichtbare zu enträtseln. Evy hätte zahllose Beispiele anführen können, bei denen sie recht behalten hatte. Er wettete nicht mehr mit ihr. Und da er folglich von dem Prinzip ausgehen mußte, daß sie sich praktisch nie irrte, war er ziemlich enttäuscht, als er hörte, daß Michèle nicht ihren Erwartungen entsprechen werde.
    Anschließend, gegen drei Uhr morgens, verlangte Michèle eine Erklärung, eine Situation, die ziemlich unangenehm war. Den Tränen nahe und mit vor Wut zitterndem Mund stand sie im Schatten eines Massivs von Yuccapalmen, die mit bunten Bändern geschmückt waren, und wollte wissen, warum Lisa solche Schauermärchen über sie verbreitete – Andreas hatte ihr gesagt, daß sie später zu nichts taugen werde und daß man ihr das auf den ersten Blick ansehe.
    Lisas schlechter Ruf, das Mißtrauen und der Haß, den ihr manche Mädchen aus der Schule entgegenbrachten, waren nicht wirklich verdient. Sie verletzte niemanden absichtlich, empfand kein besonderes Vergnügen daran, jemanden zu verleumden. Sie fällte ihre Urteile nicht aus Bosheit, sie fühlte sich einfach dazu verpflichtet, ehrlich zu sein und eine Sache so darzustellen, wie sie war.
    Evy dachte an diese Episode zurück und beobachtete dabei aus dem ersten Stock Marlène Aramentis, die im Badeanzug um den Swimmingpool irrte, dessen Oberfläche vom Sturm gepeitscht zu werden schien – ein wildes Durcheinander aus Schreien, Händen und Füßen, ein abscheuliches Bild. Er stand mit heruntergelassener Hose in Michèles Zimmer und kam nun seinerseits in den Genuß ihrer Aufmerksamkeit und sah, sich der Leere bewußt, die er nicht zu füllen vermochte, Lisa wieder vor sich, entdeckte über der Schulter der stümperhaften Bläserin, die es ihm mit abwesender Miene im Sturmtempo besorgte, Lisas Gesicht, das vor ihm schwebte. Hätte sie gelächelt, wenn sie ihn gesehen hätte? Hätte sie ihn gefragt, ob er auf seine Kosten gekommen sei?
    Wenn sich Richard und Laure mit Geschirr beworfen hatten, wenn sie schreiend von einem Zimmer ins andere hintereinander hergerannt waren, so daß man sich schließlich wünschte, sie würden sich gegenseitig erwürgen, konnte er von Glück reden, daß er Lisa hatte.
    In solchen Augenblicken ging Evy ohne anzuklopfen in ihr Zimmer und setzte sich mit einer Zeitschrift auf ihr Bett. Lisa tippte weiter auf ihrem Computer. Manchmal hatte sie Bier oder etwas zu rauchen da. Wenn ein ungewöhnliches Getöse losbrach, spitzten sie eine Sekunde lang die Ohren, und dann fuhren sie mit ihrer Beschäftigung fort. Dennoch war es unangenehm gewesen. Richard und Laure. Bei Paaren wie ihnen war ein solcher Schmerz zu spüren, eine solche Frustration, eine solch unglaubliche Wut und auch eine solche Angst, daß es für Evy und seine Schwester nicht immer einfach gewesen war, sich dem zu entziehen. Manchmal war es besser, durchs Fenster zu
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