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Die Freundin meines Sohnes

Die Freundin meines Sohnes

Titel: Die Freundin meines Sohnes
Autoren: Lauren Grodstein
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schwarzgetüpfelter Dschungelfrosch. Als ich die Brust abtastete, starrten mich seine lebensechten Augen an.
    »Mein Ex-Freund hieß bei uns nur Frogger.« Sie schloss die Augen, als ich die Finger auf ihre Brust drückte – seit mehreren Jahren Standard in meiner Praxis.
    »Frogger, ja?«
    »Daher das Tattoo.« Mir kam Roseanne überhaupt nicht deprimiert vor, aber ihre Haut war vielleicht ein bisschen gelb, und mit den Tätowierungen: Ich beschloss, einen Hep-Test machen zu lassen, und ließ sie weiterreden. »Er hat mich vor drei Monaten für einen Kerl sitzen gelassen«, – aha! daher wehte der Wind – »hat gesagt, das wäre einfach so passiert, er hätte das nicht geplant und so, aber …« Sie seufzte tief, während sie sich das Hemd zuknöpfte. »Es war irgendein Student aus Stanford. Und das sagt er mir einen Monat, nachdem ich mir dieses scheiß Tattoo hab machen lassen. Wir wollten zusammen nach San Francisco ziehen. Einen marxistischen Buchladen aufmachen. Und ich wollte Brownies backen – ein marxistischer Buchladen mit Café. Und jetzt wohne ich bei meinen scheiß Eltern. Entschuldigung«, sagte sie und zog eine Augenbraue hoch wie ein Kobold. »Ich sollte bei Ärzten nicht fluchen.«
    »Nur zu.« Wir gingen in mein Besprechungszimmer zurück,ihre Springerstiefel krachten auf den Boden. Mina, meine eher konservative litauische Sprechstundenhilfe, sah die Stiefel und verdrehte die Augen.
    »Und«, sagte ich, als wir die Tür hinter uns zugemacht hatten, »bei dem vielen Stress in Ihrem Leben konnten Sie nichts essen?«
    »Keine Ahnung.« Sie zuckte mit den Achseln. »Muss wohl so gewesen sein. Ich hab eindeutig abgenommen. Meine Sachen sind alle zu weit.«
    »Wieviel Pfund, was schätzen Sie?«
    »Acht vielleicht oder zehn? Ich weiß nicht«, sagte sie. »Eigentlich ist das alles die Idee meines Vaters. Zu Ihnen zu kommen, meine ich.«
    »Okay«, sagte ich. »Also, ich glaube, dass Ihnen vermutlich nichts fehlt, aber ich werde zur Sicherheit ein paar Blutuntersuchungen machen lassen, und wenn Sie deprimiert und unzufrieden mit Ihrer Therapeutin sind, kommen Sie wieder her, ich kann Sie zu einem« – ich konnte nicht anders – »richtigen Arzt überweisen.«
    »Ah!« Sie seufzte dramatisch. »Dann gehören Sie also zum medizinischen Establishment.«
    »Ich bin nicht sicher, welches medizinische Establishment Sie meinen.«
    »Das, das alternative Therapien ablehnt. Das, das mich lieber mit Antibiotika vollstopft, anstatt mich zur Akupunktur zu schicken.«
    »Ich finde ja eigentlich«, sagte ich und lehnte mich auf meinem Stuhl zurück, »dass Antibiotika zu häufig verordnet werden. Und gegen Akupunktur hab ich nicht das Geringste. Und wenn Ihre Reflexzonentherapeutin Ihnen hilft, ist das doch prima. Ich hätte nur gern, dass Sie trotzdem einen Psychiater konsultieren.«
    »Psychiater hab ich noch nie leiden können.«
    »Manche sind nett.«
    »Manche haben nur Müll im Kopf.«
    »Ich empfehle Ihnen jemanden, bei dem das nicht so ist.«
    »Versprochen?«, fragte sie lächelnd. Sie war eigentlich gar nicht so taff, wie sie sich anfangs gegeben hatte.
    »Versprochen.«
    Sie klemmte sich eine schwarze Haarsträhne hinters Ohr, lächelte verhalten und nahm das Blatt Papier mit dem Namen und der Nummer der Psychiatrischen Praxis am Round Hill, das ich von meinem Rezeptblock abgerissen hatte.
    Als Roseanne Craig mein Sprechzimmer verließ, ging ich davon aus, sie nicht wiederzusehen.
     
    Die Fahrt vom Park bis nach Round Hill dauert etwa eine Viertelstunde, heute allerdings fahre ich den Umweg über die Route 9W und durch die Nebenstraßen von Rockleigh und Alpine. Im Winter sind die Bäume hier oben kahl, und man hat einen Ausblick bis auf die andere Hudsonseite; im Frühjahr und im Herbst versammeln sich wilde Truthähne und Hirsche auf dem Seitenstreifen. Heute verpasse ich aus irgendeinem Grund meine Ausfahrt und muss nach einer Schleife über die Maycrest Avenue, die Hauptstraße von Round Hill, zurück. Einen langen steilen Berg hinab ins Stadtzentrum, das mit Radarfallen, Ampeln und Schildern gespickt ist. In dieser Stadt geht man auf Nummer sicher. Meine Finger umklammern das Lenkrad.
    Unser kleiner Wohlstandshügel teilt sich in drei Teile: von Osten nach Westen sind das der School District, Manor und Downtown. School District ist ein geographischer Name, kein verwaltungstechnischer Begriff, und bezeichnet das acht Quadratkilometer große Gebiet im Umkreis der Round-Hill-Ganztagsschule mit
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