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Die Frauen von Savannah

Die Frauen von Savannah

Titel: Die Frauen von Savannah
Autoren: Beth Hoffman
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ins Haus ging, beschloss ich, genügend Gebete für ein ganzes Leben gesprochen zu haben, warf das Spitzendeckchen und die Kerze weg, steckte Mommas Perlenkette wieder in das Satintäschchen, ging hinauf und las ein Buch.
    Bücher wurden mein Leben, oder vielleicht sollte ich sagen, Bücher waren meine Art, aus meinem Leben zu fliehen. Ich machte meine Hausaufgaben immer so gründlich, dass ich sie auswendig konnte. Auf eine sonderbare, verdrehte Weise sorgte die Verrücktheit meiner Momma dafür, dass ich mehr lernte und Klassenbeste wurde. Für jeden Teller, jede Untertasse und jedes Glas, die sie an die Wand warf, fügte ich meiner Leseliste ein Buch hinzu. Und immer, wenn sie weinte, las ich eine ganze Spalte im Wörterbuch. Mit elf hatte ich schon eine ziemliche Menge Bücher gelesen und kannte einen Haufen Wörter.
    Wenn die Mädchen aus meiner Klasse nach der Schule nach Hause rannten, um Brettspiele zu spielen oder sich mit dem Make-up ihrer Mütter zu schminken, dann drehte ich mich um und ging in die entgegengesetzte Richtung die schattigen Gehsteige entlang bis zur Stadtbücherei von Willoughby. Ich war zufrieden, wenn ich allein auf dem kühlen Boden zwischen den hohen Holzregalen saß, aber in Wahrheit sehnte ich mich doch nach einer lebendigen, atmenden Freundin, mit der ich hätte reden können. Lachen. Einfach sein . Tag für Tag sehnte ich mich danach, meine Schritte im Gleichtakt mit denen eines anderen Mädchens zu hören. Wenn diese Sehnsucht zu wehtat, versuchte ich mir einzureden, ich bräuchte niemanden. Auch keine Mutter.
    Aber als ich zwölf Jahre alt war, konnte ich mir nichts mehr einreden.
    Ich kam an einem stürmischen Frühlingstag aus der Schule nach Hause, machte die Haustür auf, und mir wehte eine graue Rauchwolke ins Gesicht. Ich ließ meine Bücher fallen und rannte in die Küche, wo auf dem Herd ein Kochtopf brannte. Ich musste so sehr husten, dass ich glaubte, ich würde ersticken, grapschte nach einem Topflappen, warf den versengten Topf in die Spüle und drehte den Herd aus. Nachdem ich alle Fenster und Türen aufgerissen und den Rauch hinausgewedelt hatte, begutachtete ich den Schaden. Auf dem Herd klebten Käse und verbrannte Makkaroni, die bis an die Schränke gespritzt waren, und der Rauch hatte einen grauen Film unter der Decke hinterlassen. Ich starrte das Chaos an und überlegte noch, wie ich das je sauber kriegen sollte, da hörte ich Momma heulen, als stünden ihre Haare in Brand.
    Ich raste die Treppe hinauf und fand sie auf ihrem Bett sitzend, in einem roten Spitzen- BH , einem Petticoat und ihrem Diadem. Sie weinte so sehr, dass ihr Gesicht vor lauter Verquollenheit gar nicht zu erkennen war. Momma roch ganz komisch – nach Haarspray und Shalimar-Parfum, gemischt mit Pipi.
    Ich ging durch das Zimmer, und mein Herz klopfte wie ein Vogel, der gegen ein geschlossenes Fenster flattert. Ich hielt mich am Bettpfosten fest. »Was ist denn, Momma?«
    Sie setzte ein tragisches Gesicht auf. »Guck dir das mal an«, sagte sie und hob ihr Album hoch.
    Das Bild, das ich mir ansehen sollte, war ein Foto von ihr im weißen Königinnenkleid, auf dem sie lächelte wie eine Göttin. Von ihrer Schulter zur Hüfte verlief eine grüne Seidenschärpe mit den Worten Zwiebelkönigin Vidalia 1951 in Glitzerschrift. Sie stand auf einer Bühne, die mit zwei überquellenden Zwiebelfässern dekoriert war.
    »Mein Leben ist hier, das ist mein richtiges Leben«, wimmerte sie und stieß mit dem Zeigefinger auf das Bild. Sie rieb sich die Augen und verschmierte ihre Wimperntusche über die Wangen. »Ich war so schön und so jung.«
    »Du bist immer noch schön, Momma.«
    Ihre Lippen zitterten. »Findest du?«
    Ich nickte und versuchte, vernünftig mit ihr zu sprechen und sie in die Realität zurückzuholen. »Momma, diesen Wettbewerb zu gewinnen war doch nicht dein Leben – es war nur ein Tag in deinem Leben, das ist alles. Mrs Odell sagt, Leben ist, was man draus macht. Vielleicht würde es dir besser gehen, wenn du da mehr drüber nachdenkst.«
    Sie sah mich mit großen Augen an. »Wer ist denn Mrs Odell?«
    Mein Magen drehte sich um, und es schnürte mir die Kehle zu. Ich lehnte mich mit der Stirn an den Bettpfosten und holte tief Luft. »Unsere Nachbarin, Momma. Sie wohnt nebenan. Erinnerst du dich?«
    »Unser Nachbar ist Colonel Braxton Griffin. Er ist ein direkter Nachkomme von General Robert E. Lee und ein veritabler Gentleman.«
    »Nein, Momma. Hör mir zu. Es gibt keinen Colonel
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