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Die Frauen von Nell Gwynnes

Die Frauen von Nell Gwynnes

Titel: Die Frauen von Nell Gwynnes
Autoren: Kage Baker
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davon zu überzeugen, ein Gesetz zu unterschreiben oder für oder gegen etwas zu stimmen, ganz im Sinne der Spekulativen Gesellschaft.
    Sie und ich, wir wissen, wie leicht man ein Mädchen ruinieren kann, während die Welt das gleiche Verhalten bei einem Mann billigt. Haben Sie nicht Lust, dieses Verhältnis umzukehren?
    Sie und ich wissen, wie wenig unsere Körper wert sind, egal, welches Aufheben die Männer darum machen. Wollen Sie Ihren nicht für etwas Gutes einsetzen? Wir haben andere Mädchen wie Sie – schlaue, wohlgeborene Mädchen. Sie haben einen Fehler gemacht oder hatten – wie Sie – Pech, und die Welt stiess sie dafür in die Gosse. Doch sie stellten fest, dass sie dort nicht bleiben mussten.
    Dasselbe gilt für Sie, Miss. Wir bieten Ihnen ein sauberes, ruhiges Zimmer mit Blick auf den St. James ’ s Park. Ich werde dieser Aussicht nie müde. Ausserdem ein ruhiges Leben, ausser, wenn Sie arbeiten. Ihnen drohen niemals Schläge oder Krankheiten. Wir werden alle gut bezahlt. Wollen Sie sich uns anschliessen?“
    Lady Beatrice überlegte einen Augenblick lang.
    „Ich glaube schon“, erwiderte sie.
    Zur grossen Erleichterung der übrigen Bordsteinschwalben tat sie es.

Kapitel 4
    In welchem sie sich einrichtet und nützliche Dinge lernt.

    L ady Beatrice stellte fest, dass Mrs. Corvey die reine Wahrheit gesprochen hatte. Das Haus am Birdcage Walk war in der Tat ein Schmuckstück, geräumig und grenzte an den St. James ’ s Park. Ihr persönlicher Raum war voll der besten Luft und des besten Lichts, die man in London bekommen konnte. Des Weiteren bot er reichlich Regalplatz für ihre Bücher, einen grosszügigen Kleiderschrank sowie ein sauberes, bequemes Bett.
    Auch ihre Mitbewohnerinnen empfand sie als höchst angenehm.
    Mrs. Otley war für den Birdcage Walk eine recht gebildete junge Dame, die in Lyme Regis Fossilien gesammelt und eine gerahmte Gravur einer Szene in Pompeji in ihrem Zimmer hängen hatte. Im Nell Gwynne’s trug sie üblicherweise eine Jockey-Montur und unterhielt eine Vitrine mit Pferdebedarf, mit dem sie die Geschmäcker der Herren befriedigte, denen es gefiel, mit einer Reitgerte geschlagen zu werden, während man sie zwang, Trense und Zügel zu tragen.
    Miss Rendlesham war zwar still, bebrillt und eine begeisterte Gärtnerin, arbeitete aber ebenfalls im Disziplin-Geschäft, sowohl im allgemeinen wie (so es erforderlich wurde) im speziellen. In der Regel entsprach ihre Kleidung der einer Schuldirektorin, und sie war Expertin für jenen harschen, inquisitorischen Tonfall, der ein Parlamentsmitglied sehr schnell zum kleinen Schuljungen machte, der sehr, sehr ungezogen gewesen war.
    Im Gegensatz dazu war Herbertina Lovelock ein guter Junge. Sie sah aus wie ein engelhafter Bursche aus einem elitären Internat, in dem man unkonventionellen Lastern frönte. Ihre Kleidung war stets die eines Herrn; ihr Haar war kurz und mit Pomade glattgestrichen. Sie rauchte Zigarren, las mit hochgelegten Füssen die Sportzeitung und ging ab und an zum Pferderennen. Im Nell Gwynne’s besass sie einen Wandschrank voller Militäruniformen der Armee und der Marine, deren Hosen äusserst eng geschnitten waren und gepolsterte Knie hatten.
    Die Misses Devere waren drei Schwestern, Jane, Dora und Maude, blond, brünett und rothaarig. Ihre Arbeit im Nell Gwynne’s bestand aus unspezifizierter Hurerei, wenn gewünscht auch als Gruppe.
    Sie waren die einzigen, die Lady Beatrice etwas über ihre Vergangenheit erzählten: Anscheinend war ihr Papa ein Gentleman gewesen, hatte sich aber in der üblichen Weise durch Suff, Glücksspiel und Aktienspekulationen ruiniert. Je nachdem, ob Jane, Dora oder Maude die Geschichte erzählte, hatte Papa sich entweder das Hirn weggeblasen, sich mit einer Liebhaberin auf den Kontinent abgesetzt oder war ein Opiumraucher in einem Loch in Limehouse und unbeschreiblich degeneriert. Jane spielte Klavier, Dora Ziehharmonika und Maude sang. In anderen Dingen waren sie ähnlich versiert.
    Alle Damen, die im Haus am Birdcage Walk lebten, erwiesen sich bei näherem Kennenlernen als freundlich. Lady Beatrice sass gerne nach dem sonntäglichen Abendessen im Gemeinschaftssalon (sonntags hatte Nell Gwynne’s geschlossen) und widmete sich der Stickerei, während Herbertina vorlas oder die Misses Devere ein Potpourri bekannter Lieder zum besten gaben und Miss Rendlesham Gartenblumen in einer Vase arrangierte. Man befand, Lady Beatrice solle ihr scharlachrotes Kostüm auf keinen Fall ändern,
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