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Die Frauen von Nell Gwynnes

Die Frauen von Nell Gwynnes

Titel: Die Frauen von Nell Gwynnes
Autoren: Kage Baker
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Schlafplatz sowie Bücher. Lady Beatrice entdeckte, dass sie Bücher noch immer schätzte.
    Den Männern gegenüber, die ihr Bett teilten, empfand sie nichts, im guten wie im bösen.
    Lady Beatrice fand schnell heraus, welche Gegenden sich am besten für ihr Geschäft eigneten und wo sie nicht von betrunkenen Arbeitern belästigt wurde: vor Theatern, den besseren Restaurants und Weinbars. Sie entdeckte, dass ihr Aussehen und ihre Stimme ihr gegenüber den anderen leichten Mädchen einen Vorteil verschafften, denn diese setzten sich vor allem aus verzweifelten Landpomeranzen und Cockney-Frauen aus dem Londoner East End zusammen. Sie beobachtete, wie sie sich durch ihre Nächte kämpften, wie sie immer betrunkener und heiserer wurden und wie sich die blauen Flecke auf ihren Oberarmen zunehmend dunkler verfärbten.
    Die anderen Frauen beäugten sie ungläubig und voller Neid, insbesondere, wenn wieder ein alternder Gentleman mit Diamant am Revers ihr aufdringliches Spalier mit unbewegter Miene durchschritt, ihre Hände abschüttelte und die Ohren gegenüber ihren schmutzigsten Lockrufen verschloss, nur um mitten im Schritt zu verharren, wenn Lady Beatrice in seinen Weg trat. „Oi! Mylady hat sich wieder einen geklaut!“, schrie dann eine. Ihr gefiel der Name.
    Eines Nachts lauerten ihr drei mit Knüppeln bewaffnete Huren in einer Seitengasse des Strand auf. Sie zog ein Messer – denn sie trug stets eines bei sich –, hielt sie in Schach und erzählte ihnen, was sie den Ghilzai-Stammeskriegern angetan hatte. Sie wichen zurück und flohen. Sie verbreiteten das Gerücht, Milady sei vollkommen wahnsinnig.
    Lady Beatrice war keineswegs wahnsinnig. Ja, der Schnee des Chaiber-Passes hatte sich scheinbar um ihr Herz gelegt und es für die meisten Gefühle unempfänglich gemacht. Ihr Geist jedoch war scharf und klar wie Eis. Es fiel ihr sogar schwer, die anderen Huren zu verachten, obwohl sie klar erkannte, dass die meisten nicht die hellsten waren, zu viel tranken, sich regelmässig in Männer verliebten, die sie schlugen, und sich in Selbstmitleid und Verbitterung suhlten.
    Lady Beatrice trank nie. Sie lebte sparsam. Sie eröffnete ein Bankkonto und sparte das Geld, das sie verdiente, an, legte aber genug beiseite, um tadellose Kleidung und den einen oder anderen Roman erwerben zu können. Sie errechnete, was sie ansparen musste, um sich zur Ruhe setzen und ein unauffälliges Leben führen zu können. Auf dieses Ziel arbeitete sie hin. Die Mauer zwischen ihrem Körper und ihrem Geist erhielt sie sorgsam aufrecht – im einen nur nominell zu Hause, im anderen wirklich anwesend.
    Eines Abends schlenderte sie über das Pflaster vor dem Britischen Museum – gemessen an den wohlhabenden Freiern, die sie hier schon gefunden hatte, ein exzellenter Ort für ihr Geschäft –, wo sie ein früherer Kunde wiedererkannte und für einen Herrenabend in der folgenden Nacht engagierte. Lady Beatrice legte für diesen Anlass ihr bestes scharlachrotes Abendkleid an und nahm eine Droschke.
    Auf der Feier, die anlässlich eines sportlichen Erfolges stattfand, erkannte sie einige ihrer besser gekleideten Rivalinnen, und sie nickten einander huldvoll zu. Einer nach dem anderen taten sich die korpulenten Bankiers und Ritter Ihrer Majestät mit einer Kurtisane zusammen. Lady Beatrice dachte gerade, sie hätte gern mehr Engagements dieser Art, als sie eine leise Stimme ihren Namen rufen hörte.
    Sie wandte sich um und erblickte einen alten Freund ihres Vaters, den sie einmal eine Stunde lang mit ihrem charmanten Geplauder bezaubert hatte. Schnell trat Lady Beatrice zu ihm.
    „Diesen Namen benutze ich nicht mehr“, sagte sie.
    „Aber mein liebes Kind, was ist dir nur geschehen?“
    „Wollen Sie die Antwort wirklich hören?“
    Er blickte sich verstohlen um, ergriff ihr Handgelenk, zog sie in ein Hinterzimmer und schloss die Türe hinter ihnen, was ihm lautes Gelächter von jenen Gästen eintrug, die nicht zu beschäftigt waren, es zu bemerken.
    Lady Beatrice setzte sich auf einen Diwan und erzählte ihm in knappen, nüchternen Worten ihre Geschichte, während er rauchend vor ihr auf und ab ging. Als sie geendet hatte, sank er ihr gegenüber in einen Stuhl und schüttelte den Kopf.
    „Du hast Besseres im Leben verdient, meine Liebe.“
    „Niemand verdient ein gutes oder schlechtes Schicksal“, sagte Lady Beatrice. „Die Dinge geschehen einfach, und man steht sie durch, so gut man kann.“
    „Mein Gott! Das stimmt: dein Vater pflegte das
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