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Die Frauen von Nell Gwynnes

Die Frauen von Nell Gwynnes

Titel: Die Frauen von Nell Gwynnes
Autoren: Kage Baker
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auch zu sagen. Er schreckte nie vor Unannehmlichkeiten zurück. In dieser Hinsicht kommst du ganz nach ihm. Er sagte immer, du seiest hart wie Stahl.“
    Lady Beatrice vernahm das Zitat mit einer gewissen Verblüffung. Es beschwor Erinnerungen an ein lang vergangenes Leben herauf. Es war ihr, als seien diese Dinge einem anderen Mädchen passiert.
    Der alte Freund betrachtete sie mit einem seltsam gemischten Ausdruck: aus Mitleid und einer gewissen Berechnung. „Um deinet und deines Vaters willen würde ich dir gerne helfen. Darf ich wissen, wo du lebst?“
    Lady Beatrice nannte ihm nur allzu bereitwillig ihre Adresse. „Wobei ich Ihnen einen Besuch nicht empfehlen würde“, sagte sie. „Sollten Sie galante Regungen zu meiner Rettung verspüren, lassen Sie sie bitte fahren. Keine Dame Londons würde mich nach dem, was mir widerfahren ist, aufnehmen, das wissen Sie so gut wie ich.“
    „Ich weiss, meine Liebe.“ Er erhob und verbeugte sich. „Doch es gibt wenige Frauen, die Stahl in sich tragen. Es wäre eine Schande, deine Qualitäten verschwendet zu sehen.“
    „Wie reizend“, sagte Lady Beatrice.
    ***
    Sie versprach sich nichts von der Begegnung und war daher recht überrascht, als es drei Tage später an der Tür ihrer Unterkunft klopfte.
    Eher noch überraschter war sie, als sie die Tür öffnete und eine blinde Frau sah, die nach Lady Beatrice fragte. „Das bin ich“, gab sie zu.
    „Darf ich dann auf ein Wort hereinkommen?“
    „Auf so viele Sie wollen“, sagte Lady Beatrice. Die Blinde schwenkte ihren Gehstock vor sich hin und her, als sie eintrat. Durch eine glückliche Fügung traf sie einen Stuhl und liess sich nieder. Trotz ihrer Behinderung war sie keine Bettlerin, sondern erstaunlich gepflegt und gut gekleidet. Sie wirkte wenn schon nicht wie eine Dame der höheren Gesellschaft, so doch wie eine achtbare Mutter. Ihr Akzent wies darauf hin, dass sie der Unterschicht entstammte, doch sie sprach leise und mit präziser Diktion. Sie streifte Handschuhe und Häubchen ab und legte beides in ihren Schoss, ihr Stock lehnte in ihrem Arm.
    „Danke. Ich darf mich vorstellen: Mrs. Elizabeth Corvey. Wir haben einen gemeinsamen Freund.“ Sie nannte den Namen des Herrn, der Lady Beatrice in ihrem früheren Leben gekannt hatte.
    „Ah“, sagte Lady Beatrice. „Ich nehme an, Sie leiten eine Wohltätigkeitsorganisation für gefallene Frauen.“
    Mrs. Corvey kicherte. „Das würde ich nicht sagen, Miss, nein.“ Sie wandte Lady Beatrice ihr Gesicht mit den Augengläsern zu. Das Rauchglas der Brille war sehr schwarz und durchaus auffällig. „Keine der Damen in meinem Etablissement bedarf der Wohltätigkeit. Sie kommen durchaus gut zurecht. Ebenso wie Sie, scheint es mir. Ihr Freund berichtete mir, was Sie gesehen und erlebt haben. Bedauerlicherweise lässt sich nichts davon ungeschehen machen. So ist der Lauf der Welt. Darf ich fragen, ob Sie daran interessiert wären, Ihre Vorzüge an einem besseren Ort als auf der Strasse einzusetzen?“
    „Unterhalten Sie ein Freudenhaus, Madame?“
    „Ja und nein“, sagte Mrs. Corvey. „Wäre es ein Freudenhaus, so wäre es mit Sicherheit ein erstklassiges, mit Mädchen von Ihrer Schönheit und Schläue, manche sogar mit Ihrer Herkunft. Anders als ich; ich bin im Armenhaus geboren.
    Mit fünf Jahren verkaufte man mich an eine Nadelfabrik. Man braucht kleine Hände, um Nadeln zu machen, wissen Sie, und junge, scharfe Augen. Man bevorzugt kleine Mädchen als Arbeiterinnen, denn sie stellen sich wesentlich sorgfältiger an als kleine Jungen. Wir arbeiteten an einem langen Tisch, schnitten Draht, feilten die Spitzen zurecht und hämmerten die Köpfe breit. Wenn es dunkel wurde, arbeiteten wir bei Kerzenlicht, und die Vorarbeiterin las uns aus der Bibel vor. Im Alter von zwölf Jahren war ich blind, aber ich kannte die Heilige Schrift, das können Sie mir glauben.
    Danach taugte ich logischerweise nur noch für eines, nicht wahr? Also wurde ich an eine Art Spezialhaus verkauft, in dem man allerhand seltsame Kerle vorfindet. Kranke, hässliche und schüchterne. Ich wurde zweimal schwanger und bekam Syphillis. Ich hoffe, ich schockiere Sie nicht. Wir sind beide herumgekommen. Jedenfalls verlor ich die Zeit aus den Augen, aber ich muss etwa siebzehn gewesen sein, als ich dort herauskam. Möchten Sie wissen, wie es mir gelang?“
    „Ja, Madame, in der Tat.“
    „Dieser Kerl kam, um mich zu sehen. Er zahlte extra, um mich einen Abend lang für sich allein zu haben, und
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