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Die Frau im Tal

Die Frau im Tal

Titel: Die Frau im Tal
Autoren: Ketil Bjørnstad
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einbiegt und hinunter zum Elvefaret fährt, merke ich, daß etwas geschehen ist, daß sich entweder die Landschaft draußen oder die in mir verändert hat.
    Als ich die Haustür aufschließe, rieche ich die dumpfe Luft eines unbewohnten Hauses. Niemand ist seit meiner Abreise hiergewesen. Als sei die Zeit stillgestanden, während das Leben woanders weiterging.

    Am vierten Tag setze ich mich an Anjas Steinway. Vor diesem Augenblick hat mir gegraut, wie einem Vogel, der so lange wie möglich versucht, nicht zu zeigen, daß seine Flügel gebrochen sind.

    Es ist schlimmer, als ich dachte. Ich habe Eirik Kjosen nicht ungestraft hinter mir durch den Schnee geschleift. Der Schmerz im rechten Handgelenk macht es unmöglich, mit der nötigen Kraft zu spielen. Und der vierte Finger der rechten Hand, meine große Schwäche, ist fast nicht zu gebrauchen. Im Grunde fühlen sich alle Finger an wie große und schwere Holzscheite.
    Ich spiele mich vorsichtig durch die einfachenBach-Inventionen. Es ist beinahe wie das Luftspielen im Traum. Ich habe keine Kraft zu etwas anderem.
    Trotzdem bekomme ich keine Panik. Ich stehe vom Flügel auf und weiß, daß ich in nächster Zeit so wenig wie möglich spielen darf, daß ich vielleicht erst irgendwann im April wieder anfangen kann, richtig zu üben. Ich zähle im Kopf die Wochen. Auf Rachmaninow, soviel steht fest, muß ich für diesmal verzichten, muß entweder das Konzert absagen oder etwas anderes spielen, das nicht eine solche Kraft und Ausdauer verlangt.

    Ein ungewohnter Gedanke. Absagen? Dafür etwas anderes spielen?
    Ich verspüre eine Ruhe, eine Sicherheit, daß alles, was jetzt kommen wird, notwendig ist. Ich bin nicht länger nervös.
Konsequenz des Aufbruchs
    Die Wochen, in denen ich nicht üben kann, nutze ich, um die praktischen Dinge zu regeln. Ich rufe Ida Marie Liljerot an. Sie ist wütend, weil ich all die Monate nichts von mir habe hören lassen.
    »Ich warte darauf, das Haus verkaufen zu können«, sagt sie empört.
    Ja, denke ich, soll es ihr Haus sein. Es ist am besten so. Ich ertrage keinen Konflikt mit der ältesten Frau in dieser Familie. Ich bin ein für allemal fertig mit ihnen, denke ich. Sigrun und ihre Mutter werden ab jetzt unbehelligt von mir leben können.
    »Verkauf es, wann du willst«, sage ich und verspüre eine große Erleichterung.
    Sie zögert, die erfahrene Menschenkennerin. Sie hatte vermutlich nicht damit gerechnet, daß es so einfach sein würde.
    »Du kannst natürlich Anjas Flügel haben«, sagt sie vorsichtig.
    »Nein danke, ich habe meinen eigenen«, sage ich kurz.

    Gleich nachdem ich mich mit meiner ehemaligen Schwiegermutter über die Einzelheiten des Auszugs geeinigt und den Hörer aufgelegt habe, setze ich mich hin und spiele zum letztenmal eine von Mariannes Platten.
    Joni Mitchell. »Sisotowbell Lane … Noah is fixing the pump in the rain …«
    Danach rufe ich in meiner Wohnung in der Sorgenfrigata an.
    Christian Langballe ist am Apparat.
    »Ich möchte gerne mit Rebecca sprechen«, sage ich.
    »Das ist nicht nötig«, antwortet er mit einer Stimme, die zittert vor Wut. »Wir wollten gerade dich anrufen. Wir bauen uns auf einem Grundstück von Rebeccas Eltern ein Haus. Sie ist gerade dort. Wir ziehen Ende April ein. Hat Rebecca dir das nicht erzählt?«
    »Ich habe lange nicht mehr mit Rebecca gesprochen«, sage ich. »Demnach kann ich also meine Wohnung wiederhaben?«
    »Mit Vergnügen«, sagt er. »Das wird eine Befreiung sein, endlich rauszukommen aus diesen gräßlichen Räumen und deinen stinkenden Monsterflügel nicht mehr sehen zu müssen!«

    Der Gedanke an die kleine Wohnung und an Synnestvedts alten Flügel gibt mir Kraft. Hier habe ich mein künftigesLeben. Obwohl es mich beunruhigt, daß mich Rebecca nicht benachrichtigt hat, kann ich nun weiterplanen.
    Ich sammle meine Sachen zusammen. Die wenigen Dinge, die mir im Skoog-Haus gehören. Noten und Kleidung. Das ist nicht mehr als das, was in Rebeccas Auto paßte, als sie mir seinerzeit beim Einzug half.

    So vergehen die Tage. Ich vermeide es, in die Stadt zu fahren. Ich schiebe die Entscheidung vor mir her, obwohl ich nicht mehr viel Zeit habe.
    Dann, eines Tages Mitte März, kommt der Frühling. Es tropft von den Bäumen. Der Asphalt mit all seinen Löchern wird wieder sichtbar. Es riecht nach Staub und altem Schnee. Früher bin ich an solchen Tagen hinunter ins Erlengebüsch gegangen und habe dem Rauschen des Flusses gelauscht. Aber ich tue es nicht. Ich stelle ein
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