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Die Frau im Tal

Die Frau im Tal

Titel: Die Frau im Tal
Autoren: Ketil Bjørnstad
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zu einem anderen Ort in meinem Leben. Zwölf Töne waren alles, was Mozart brauchte.«
    »Du wolltest also wirklich Mozart spielen?«
    »Ja. Die Muskelschmerzen veränderten meine Einstellung. Mir geht es nicht mehr darum, Heftigkeit und Verzweiflung zum Ausdruck zu bringen, nicht mehr darum, mit Bravour die Technik zu meistern. Das wird später einmal kommen.«
    »Dann spielst du jetzt um der Versöhnung willen?«
    »Ja, man kann es so sagen.«
    »Versöhnung womit? Mit all dem, was du verloren hast?«
    »Nicht nur.«
    »Sondern?«
    »Die Versöhnung mit allem, was die ganze Zeit da war. Was ich aber nicht gesehen habe.«

    Die Umzugsleute haben den Flügel verstaut. Jetzt sind nur noch die Corbusier-Stühle übrig. Der Journalist merkt, daß er aufstehen muß.
    »Das war ein sehr interessantes Gespräch«, sagt er.
    »Für mich auch«, sage ich.
    Dann verlassen wir gemeinsam das Haus, warten, bis der große Umzugswagen davonfährt. Das einzige, wasnoch da ist, sind meine Plastiktüten, die auf der Kellertreppe stehen.
    Der Journalist hat sein Auto oben an der Kurve stehen.
    »Kannst du mich in die Stadt mitnehmen?« frage ich.
    »Klar«, sagt er. »Wohin willst du?«
    »In die Sorgenfrigata.«
    »Das liegt auf meinem Weg«, sagt er freundlich, nimmt dann einige der Plastiktüren und hilft mir tragen.
Eine Zeit für Mozart
    Ich ziehe dort ein, wo Rebecca und Christian eineinhalb Jahre gewohnt haben, in die Wohnung in der Sorgenfrigata. Ich habe fast vergessen, daß es meine ist.
    Ich werde mich immer an meinen ersten Abend allein erinnern. Den Wein habe ich im Vinmonopolet Majorstua gekauft. Der alte Blüthner-Flügel, auf dem Rebecca während ihres Studiums geübt hat, wurde von ihr sorgsam gepflegt, selbst den Schmutzfilm von den Tasten hat sie entfernt.
    Das Tageslicht verschwindet hinter den Dächern. Ich öffne die Weinflasche und setze mich auf den Balkon, höre die Laute der Menschen unten auf dem Valkyrienplatz. Erst als das Licht im Norden steht, gehe ich zu Bett.

    Am folgenden Tag habe ich meine erste Probe mit dem Orchester. Ich merke, daß ich nervös bin, aber nicht so wie früher. Ich habe nicht mehr das Gefühl, etwas beweisen zu müssen. W. Gude sitzt auf seinem üblichen Platz im Saal und folgt mir mit den Augen.
    Der Dirigent ist weltberühmt, erfahren und höflich. Er hat die Programmänderung dank W. Gudesdiplomatischem Redetalent akzeptiert. Er weiß um die Verletzung, die ich mir zugezogen habe. Aber er will nicht darüber reden. Er kommt direkt zur Sache.
    »Mozart ist schwieriger als alle anderen«, sagt er auf englisch.
    »Das weiß ich«, antworte ich in derselben Sprache.
    »Wie willst du das Konzert haben?«
    Er ist ein älterer, erfahrener Dirigent, der sich bemüht, mich in die erwachsene Welt der Orchestermusik einzuführen.
    »Ich finde, es darf nicht zu leicht und zwanglos werden«, sage ich. »Daß wir die Hintergründigkeit nicht vernachlässigen dürfen.«
    »Ganz in meinem Sinne«, sagt er. »Dann muß ich die Intensität bei den Streichern erhöhen, nicht wahr? Und den Bläsern ihre artikulierte Schärfe lassen.«
    Ich nicke eifrig und setze mich an den Flügel.

    Der erste Ton. Um mich das Orchester. Das durfte Anja noch erleben, bevor sie starb. Aber für mich ist es das erste Mal. Bjarne Larsen sitzt auf dem Platz des Konzertmeisters und ist voll konzentriert. Ich sehe die Hindar-Brüder an ihren gewohnten Plätzen. Mit all den Musikern, die ich seit meiner Kindheit als Zuhörer im Saal bewundert habe, soll ich auf einmal zusammen spielen.
    Der Dirigent läßt die Musik strömen, fast ohne die Arme zu bewegen.
    Kurz bevor das Klavier einsetzt, denke ich, daß ich zum erstenmal ein großes Konzert spiele, ohne einen Lehrer gehabt zu haben. Weder Ausdruck noch Fingersatz hat jemand mit mir einstudiert.
    Auf einmal vermisse ich das. Die damit verbundene Sicherheit. Ich muß mich der Aufgabe würdig erweisen.Am nächsten Abend steige ich die Treppen vom Künstlerfoyer hinauf ohne den Ehrgeiz, der Beste zu sein und vor aller Welt Meisterschaft demonstrieren zu müssen. Ich betrete das Podium mit der tiefen Freude, die alle Musiker empfinden, wenn sie wissen, daß sie die Musik spielen werden, die sie lieben, die ihnen in diesem Moment am wichtigsten ist. Das eine schließt das andere nicht aus. Rachmaninow schließt nicht Mozart aus oder umgekehrt. Aber ich weiß, daß mich einige der Orchestermusiker für mutig halten, weil ich für dieses Konzert Mozart gewählt habe. Sie
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