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Die Frau im Fahrstuhl

Die Frau im Fahrstuhl

Titel: Die Frau im Fahrstuhl
Autoren: Helene Tursten
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Gemeindeschwester. Natürlich dachte ich immer seltener an die Frau im Fahrstuhl. Nach einiger Zeit heiratete ich, und nach einigen weiteren Jahren wurde ich schwanger. Am Ende meiner Schwangerschaft bekam ich Bluthochdruck. Meine Hebamme schickte mich zum Gynäkologen.
    Ich saß allein im großen Wartezimmer. Nervös setzte ich mich auf die Kante einer Bank mit plastikbezogenem Polster. Nach einer Weile öffnete sich die Tür zum Sprechzimmer. Erstaunlicherweise stand Majvor vor mir! Sie erkannte mich sofort wieder. Wir umarmten uns spontan, und Majvor flüsterte: »Du bist heute die letzte Patientin. Kannst du vor dem Haus auf mich warten, dann gehen wir bei Petterssons Kaffee trinken? Ich beeile mich.«
    Als ich bei dem freundlichen älteren Arzt fertig war, stellte ich mich unten in den Hausgang. Ich brauchte nicht lange zu warten, und gemeinsam gingen wir zum Cafe.
    »Ich arbeite jetzt schon seit zwei Jahren in dieser Praxis, und zwar als Schwester am Empfang. Besser bezahlt als im Krankenhaus und normale Arbeitszeiten«, sagte Majvor.
    Wir tauschten uns darüber aus, was in den letzten Jahren in unserem Leben passiert war. Majvor war ebenfalls verheiratet, hatte jedoch noch keine Kinder. Als wir unsere Kopenhagener gegessen und uns eine zweite Tasse Kaffee geholt hatten, beugte sich Majvor über den Tisch und sagte mit leiser Stimme: »Ich habe wegen der Dame im Fahrstuhl Nachforschungen angestellt. Sie hat mir irgendwie keine Ruhe gelassen. Vielleicht bin ich auf eine Erklärung gestoßen. Wenn die stimmt, handelt es sich wirklich um ein Gespenst.«
    Sie verstummte, um zu sehen, wie ich darauf reagierte. Ich war wahnsinnig neugierig und zeigte es auch.
    »Als das Krankenhaus gerade gebaut worden war, hatten wir einen älteren Klinikchef. Das Krankenhaus war sein Leben, und er hatte überall seine Finger drin. Besonderes Interesse hatte er an der Anlage des Parks. Er machte die Pläne, wo die Wege verlaufen und die Beete angelegt werden sollten. Es war ihm sehr wichtig, dass der kahle Hügel einmal ein Schmuckstück werden würde. Alles sollte so schnell wie möglich fertig werden, da seine Pensionierung bevorstand«, erzählte Majvor.
    Sie trank einen Schluck Kaffee und fuhr dann fort: »Der Klinikchef war seit einigen Jahren Witwer. Kurz vor Eröffnung des Krankenhauses heiratete er ein zweites Mal, und zwar eine Frau, die nur halb so alt war wie er. Alle, die sie gekannt haben, sagen, sie sei eine Schönheit gewesen. Und Hadar behauptet, sie hätte rote Haare gehabt!«
    Sie sah mich triumphierend an. Ich konnte mich noch gut an den älteren Hausmeister Hadar erinnern. Was er nicht über das Klinikpersonal wusste, brauchte man auch nicht zu wissen.
    »Offenbar waren sie erst ein halbes Jahr verheiratet, als gewisse Gerüchte aufkamen. Sie besagten, dass die junge Frau ihres alten Ehemannes überdrüssig sei und bereits eine Affäre hätte. Und zwar mit einem der Stationsärzte, an den ich mich allerdings nicht erinnern kann. Das war wohl vor meiner Zeit. Vielleicht bin ich ihm auch nie begegnet, ehe er… verschwand.«
    »Was sagst du da? Was heißt verschwand!«, rief ich.
    »Ja. Er auch.«
    Sie sah mich viel sagend an, ehe sie fortfuhr: »Plötzlich sah der alte Klinikchef nicht mehr so energisch und fröhlich aus. Er wurde verschlossen und mürrisch. Ein paar Wochen später teilte er einigen Kollegen mit, seine Frau sei mit ihrer Affäre ausgebüchst. In die USA. Der Stationsarzt hatte dort angeblich eine Stelle an einem renommierten Krankenhaus bekommen, und die Rothaarige war mitgegangen und hatte den Alten sitzen lassen. Keiner der Kollegen wagte es, nachzuhaken und die Frage zu stellen, wo die beiden sich aufhielten, und der Klinikchef erzählte es auch nicht.«
    Majvor verstummte. Sie beugte sich über den Tisch.
    »Bald näherte sich seine Pensionierung, und er war bis zum letzten Augenblick mit irgendwelchen Planungen beschäftigt. Der 31. Mai war sein letzter Arbeitstag. Ich kann mich noch deutlich an alles erinnern. Am Morgen, als wir nach Hause wollten und die Schwestern der Frühschicht kamen, standen sieben frisch gepflanzte Fliederbüsche in einer der neuen Rabatten unterhalb des Hügels. Offenbar waren sie im Morgengrauen gepflanzt worden. Stolz teilte der Klinikchef mit, dies sei sein Abschiedsgeschenk an alle Mitarbeiter. Er hoffe, die Büsche würden blühen und mit ihren Blüten und ihrem Duft alle Vorbeikommenden erfreuen. Sein Wunsch ging in Erfüllung. Unglaublich, wie dieser Flieder
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