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Die Frau im Fahrstuhl

Die Frau im Fahrstuhl

Titel: Die Frau im Fahrstuhl
Autoren: Helene Tursten
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bernsteinfarbener Inhalt war über den Tisch auf den hellen Wollteppich gelaufen. Der schwere, durchdringende Geruch rauchigen Whiskys hing in der Luft. Die rosa Plüschcouch und zwei Sessel standen vor einem Großbildfernseher. Auf der einen Seite des Zimmers war ein riesiger offener Kamin. Davor gruppierte sich eine Polstergarnitur aus dunkelbraunem Leder. An den Wänden hingen nur ein paar kleine und nichts sagende Bilder.
    »Kein Abschiedsbrief?«, wollte Irene wissen.
    »Nein. Aber wir können nach einem Computer suchen. Gelegentlich hinterlassen Selbstmörder dort ein paar Zeilen.«
    Sie zogen Plastikhandschuhe an und begannen mit der Arbeit. Tommy ging auf die Treppe zu. Irene nahm sich erneut das Erdgeschoss vor, nur um festzustellen, dass es dort noch genauso aussah wie bei ihrem ersten Besuch.
    Die Ordnung war, abgesehen von dem Mann auf der Couch und dem verschütteten Whisky, perfekt. In der Küche fand Irene im Mülleimer unter der Spüle den Karton einer Tiefkühlpizza. Ein ungespülter Teller mit Besteck stand im Spülbecken und auf der Arbeitsplatte ein Weinglas mit einer leeren Rotweinflasche.
    Irene fiel auf, dass das Haus für zwei viel zu groß war. Es war sicher mühsam gewesen, Ordnung zu halten, insbesondere da beide Pedanten gewesen zu sein schienen. Außer der großen Küche und dem Wohnzimmer gab es noch eine Waschküche und ein geräumiges Esszimmer, das mit weißen Stilmöbeln – schwedisches Rokoko – zugestellt war. Um den Tisch standen zehn Stühle mit grazil geschwungenen Beinen und ornamentierten Lehnen. An den Wänden standen dicht gedrängt eine ebenfalls weiße Standuhr, eine so genannte Mora-Uhr, zwei Lehnstühle, ein Eckschrank und eine Anrichte, alles aus derselben Serie. Eine Wand zierte eine Landschaft in Ockertönen, und über der Tafel prunkte ein kleiner Kronleuchter. Der düstere unechte Perserteppich, die weißen Vorhänge und die beigen Tapeten verstärkten den unpersönlichen Eindruck noch.
    Da Lars Svensson auf der Couch vor dem Fernseher gelegen hatte, überprüfte Irene, ob eine Kassette im Videorekorder lag. Das war tatsächlich der Fall. Sie nahm sie heraus. In diesem Moment hörte sie Tommy aus dem Obergeschoss rufen: »Irene! Schau dir das mal an.«
    Irene legte die Kassette in eine Plastiktüte, ehe sie nach oben ging.
    Tommy hatte ihr den Rücken zugekehrt und deutete wortlos auf den Computermonitor.
    Statt des normalen neutralen Hintergrundes hatte jemand – wahrscheinlich Lars Svensson – ein schwarz-weißes Bild von Evalis installiert. Sie lächelte den Fotografen glücklich und entspannt an. Der Wind ließ ihr blondes Haar wehen, und sie blinzelte in die Sonne.
    Bei den Icons war nichts Ungewöhnliches. Sicherheitshalber klickte Tommy auf »Eigene Dateien«, ohne eine zu finden, die wie ein Abschiedsbrief klang.
    Hastig ließ Irene ihren Blick durchs Zimmer schweifen.
    »Schau mal da«, meinte sie und nickte in Richtung Fenster.
    Auf der Fensterbank stand ein gerahmtes Foto von Evalis. Sie trug ein leichtes Sommerkleid. In der erhobenen Hand hielt sie ein Sektglas, als wolle sie mit dem Fotografen anstoßen. Auch auf diesem Bild wirkte sie fröhlich und unbeschwert.
    »Vielleicht sind die Fotos von ihrer Hochzeit«, schlug Tommy vor.
    »Möglich. Jedenfalls sieht sie glücklich aus«, erwiderte Irene trocken.
    Sie gingen ins Schlafzimmer und schauten in die Schränke und die Kleiderkammer, entdeckten jedoch nichts Auffälliges. In der großen Bibliothek stand auf einem Ecktischchen ein weiteres gerahmtes Foto. Evalis saß in T-Shirt und Shorts auf einem Steg. Breit lachte sie in die Kamera.
    In der Sauna und im Relaxraum war nichts zu holen. Das Badezimmer hingegen war interessanter. Im Schrank über dem Waschbecken lagen mehrere Arzneimittelschachteln.
    Irene las die Aufschriften vor: »Rohypnol. Temesta. Tiparol. Esucos. Kodein. Halcion. Ich kenne nur Rohypnol.«
    »Ich auch. Starkes Schlafmittel. Aber das andere Zeug scheint auch nicht aus dem Reformhaus zu stammen.«
    Sie legten die Schachteln in eine Plastiktüte und versiegelten sie.
     
    Schweigend fuhren sie ins Zentrum von Göteborg zurück. Irene kannte Tommy gut genug, um zu wissen, dass er denselben Gedanken nachhing wie sie. Schließlich brach sie das Schweigen.
    »Er war nicht koscher.«
    »Wer?«
    »Lars Svensson.«
    »Ganz deiner Meinung.«
    »Das Szenario sieht folgendermaßen aus. Vor Trauer am Boden zerstört, hat er mit Hilfe dieser unzähligen Tabletten aus dem Badezimmerschrank
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