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Die Frau im Fahrstuhl

Die Frau im Fahrstuhl

Titel: Die Frau im Fahrstuhl
Autoren: Helene Tursten
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der Name nicht mehr zu entziffern war. Wir waren die einzigen Gäste. Es war leicht zu verstehen, warum. Das Lokal war heruntergekommen, und es roch nach kaltem Zigarettenrauch, Frittiertem und Schmutz. Der Mann hinter der Theke passte dazu. Er starrte uns unfreundlich an und sagte: »Was wollen Sie denn hier?«
    So schnell wie möglich weg, hätte ich fast geantwortet, konnte mich aber gerade noch beherrschen. Wir hatten wahnsinnigen Hunger, und eine Toilette war auch dringend vonnöten. Außerdem mussten wir uns natürlich nach dem Weg erkundigen. Mein höflicher Mann klärte den Wirt freundlich über unser Dilemma auf.
    »Das Klo ist draußen. Die linke Tür. Das Einzige, was ich Ihnen anbieten kann, ist Käsebrot.«
    Dann nickte er zur Seite und fuhr fort: »Nehmen Sie einfach den linken Weg bis zur Kreuzung. Dann Richtung Haddington. Von dort geht es immer geradeaus nach Aberlady. Dort landen Sie dann wieder auf der Hauptstraße nach North Berwick.«
    Peter sah sich das auf der Karte an und nickte zustimmend. Auf der Karte war es kein Problem, der richtigen Route zu folgen.
    Wir tranken unseren lauwarmen Tee, der die Farbe von Morast hatte, und verschlangen die trockenen Käsebrote. Nachdem wir die schmutzige Toilette hinter uns gebracht hatten, sahen wir zu, dass wir den ekelhaften Pub und seinen Wirt schnellstmöglich hinter uns ließen. Ich kann mich nicht entsinnen, dass ich irgendwo ein Schild mit dem Namen des kleinen Dorfes gesehen hätte. Andererseits sah ich auch keine Häuser in der Nähe des Pubs. Vielleicht handelte es sich gar nicht um ein Dorf.
     
    Vielleicht hatte jemand das Schild, das nach Haddington wies, gestohlen oder es umgefahren. Wie auch immer, wir fanden nie irgendein Straßenschild, auf dem Haddington gestanden hätte. Wir sahen überhaupt keine Schilder. Es war stockdunkel und regnete immer noch in Strömen. Wir kurvten stundenlang herum, ohne im Geringsten zu wissen, wo wir uns befanden. Ab und zu sahen wir Licht in den Fenstern der Höfe, an denen wir vorüberkamen. Ich wollte auf eines der Lichter zufahren, um dort anzuklopfen und nach dem Weg zu fragen.
    »Nicht nötig. Nach Haddington kann es nicht mehr weit sein!«, erwiderte Peter fröhlich.
    Die letzte Stunde sahen wir überhaupt keine Lichter mehr. Die Bewohner der Bauernhöfe waren zu Bett gegangen. Plötzlich tauchte in den Scheinwerferkegeln ein Schild auf. »Gullane« stand darauf. Wir griffen zur Karte und leuchteten mit der Taschenlampe darauf.
    »Aber Gullane liegt ja an der Küste! Gar nicht weit von North Berwick entfernt!«, rief Peter.
    »Wie konnten wir Haddington nur verfehlen?«, fragte ich sauer.
    Peter tat so, als hätte er es nicht gehört. Da ich schon einmal dabei war, fuhr ich fort: »Und wieso steht auf dem Schild nicht, wie weit es nach Gullane ist?«
    »Aber Kleines, die Schilder hier sehen doch alle so aus!«
    Ich war mir nicht sicher, ob er damit Recht hatte, wollte aber nicht noch mehr nörgeln. Schweigend rumpelten wir auf dem Weg weiter, der laut Schild nach Gullane führte.
    Von Gullane sahen wir nicht die Spur. Der Weg wurde immer kurviger und schmaler. Im Schritttempo fuhr Peter mit dem kleinen Auto durch den Morast, in den sich der Weg verwandelt hatte.
    »Ist dir aufgefallen, dass der Wald aufgehört hat?«, sagte er plötzlich.
    Ich war eingenickt und schreckte auf. Erstaunt schaute ich mich um. Draußen war es vollkommen finster. Peter hatte Recht. Im Licht der Scheinwerfer waren keine Büsche oder Bäume mehr zu sehen.
    »Wir scheinen uns auf einer Heide zu befinden«, meinte ich.
    Peter antwortete nicht, sondern hielt an.
    »Wieso bleibst du stehen?«, fragte ich genervt.
    »Der Weg ist zu Ende.«
    Vor der Kühlerhaube des Wagens türmten sich einige große Felsbrocken auf. Mit Mühe zwängte sich Peter in dem engen Wagen in seine Regenjacke. Er drückte die Fahrertür auf und wagte sich in den Platzregen. Im Scheinwerferlicht sah ich, wie er die Felsblöcke hochkletterte. Das war nicht ganz leicht. Schließlich stand er oben eine Weile lang vollkommen reglos und rutschte dann wieder nach unten. Schwer atmend warf er sich ins Auto.
    »Hast du was gesehen? Hast du eine Ahnung, wo wir sein könnten?«, fragte ich hoffnungsvoll.
    In der Dunkelheit drehte sich Peter zu mir um und sagte: »Du wirst es mir nicht glauben, aber auf der anderen Seite der Steine geht es senkrecht ins Meer hinunter. Sicher zwanzig oder dreißig Meter.«
    »Sind wir am Meer?«
    »Ja. Ich konnte kein Licht von
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