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Die Frau im Fahrstuhl

Die Frau im Fahrstuhl

Titel: Die Frau im Fahrstuhl
Autoren: Helene Tursten
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Kunterbunt und verbrachten einige Stunden im Pippi-Langstrumpf-Land.
    Für die Mädchen war der Tag lang und erlebnisreich. Karin war mit ihren Kräften am Ende und weinte vor Müdigkeit. Noch bevor wir bei den Autos waren, war sie auf Lasses Arm eingeschlafen.
    Der Nieselregen hatte auf uns gewartet und setzte einige Kilometer vor Ljugarn erneut ein. Als wir auf den Gasthof zufuhren, goss es in Strömen. Es war kurz nach elf und richtig dunkel, obwohl es Mitte Juli war. Olof und Lasse trugen die schlafenden Mädchen ins Haus. Marie und ich begannen, Tüten und Zeug aus den Autos zu laden. Plötzlich packte mich Marie am Arm.
    »Schau mal!«, zischte sie und streckte die Hand aus.
    Ich schaute über die Schulter.
    Gegen die Sprossenfenster zeichnete sich die schwarze Silhouette einer Frau ab. Sie stand vollkommen unbeweglich da und hatte uns den Rücken zugewandt. Dann drehte sie sich langsam um und sah uns direkt an. Auf einmal war sie verschwunden.
    Marie und mir hatte es erst einmal die Sprache verschlagen.
    »Meine Güte! Sie hat sich einfach in Luft aufgelöst!«, rief ich schließlich.
    »Genau. Wir haben es beide gesehen. Glaubst du, dass uns das jemand glauben wird?«
    Ich sah schon vor mir, wie unsere besseren Hälften ungläubig die Augen verdrehen würden. Ich spürte mehr, als dass ich es sah, wie Marie in der Dunkelheit den Kopf schüttelte.
    »Wer ist sie?«, flüsterte Marie.
    Erst wusste ich nicht so recht, ob ich es wagen sollte, meine Gedanken in Worte zu kleiden.
    »Wir haben sie nachts herumgehen hören und gespürt, dass sie da ist, ohne sie sehen zu können.«
    »Du meinst… ein Gespenst«, stellte Marie fest, und ihre Stimme zitterte leicht.
    Von unseren Ferien auf Gotland waren nur noch zwei Tage übrig. Olof und ich machten einen Spaziergang durch Ljugarn. Der Abend war wunderbar, und wir hatten das Gefühl, in Südeuropa zu sein und nicht in Schweden. Der würzige Duft von Blumen lag in der Luft und vermischte sich mit dem Geruch, den die Grills in den Gärten verströmten.
    Wir kamen an einem entzückenden alten Haus vorüber. Obwohl es frisch hellblau gestrichen war, sah man deutlich, dass es dringend gründlich renoviert werden musste.
    Die Dachtraufe befand sich in Olofs Augenhöhe, und die kleinen Fenster aus mundgeblasenem Glas lagen sehr niedrig. Selbst ich musste den Kopf einziehen, als wir das Haus betraten. Das große Schild »Willkommen auf der Vernissage« hatte uns angelockt. Recht viele Leute gingen in den kleinen Zimmern hin und her. Spotlights strahlten die schönen Gemälde von der Decke an. Sie waren wirklich außergewöhnlich schön! Es handelte sich überwiegend um Motive von Ljugarn, einige waren aber auch von der Insel Fårö. Die Farben waren herrlich, und die Gemälde berührten mich.
    »Wer hat die gemalt?«, rief ich und deutete mit der Hand auf sie.
    Unabsichtlich stieß ich dabei gegen ein Glas, das eine alte Dame in der Hand hielt.
    »Oh, entschuldigen Sie!«, sagte ich verlegen.
    »Ich bitte Sie! Keine Ursache. Ich habe die Bilder gemalt.«
    Erstaunt betrachtete ich sie. Sie war klein und klapperdürr und trug ein schwarzes Kleid, das bis zum Boden reichte und ihr viel zu groß zu sein schien. Auf dem Kopf hatte sie eine alte, verschossene rote Baskenmütze.
    »Bitte?«, sagte ich dumm.
    »Ich habe die Gemälde gemalt«, wiederholte die kleine Dame geduldig.
    »Ach!«, lautete meine intelligente Antwort.
    Olof rettete mich aus meiner Verlegenheit. Resolut begann er, mit der Künstlerin über ihre Bilder zu sprechen. Bereitwillig und enthusiastisch sagte sie etwas zu jedem Gemälde. Besonders eines hatte es Olof und mir angetan. Es zeigte eine junge Frau, die weißen Flieder pflückte. Die Sonne schien auf ihr funkelndes rotblondes Haar und ihr hübsches Profil. Im Hintergrund waren die blauen Wellen der Ostsee auszumachen. Vorsichtig erkundigte ich mich, was das Gemälde kostete. Energisch stellte die alte Dame daraufhin ihr Weinglas ab und sah Olof und mir tief in die Augen. Lange. Ehe sie uns damit in Verlegenheit brachte, antwortete sie jedoch: »Fünfhundert.«
    Sogar wir wussten, dass das unglaublich billig war, und entschlossen uns, das Gemälde als Andenken an unsere Gotlandferien zu kaufen.
    Die Künstlerin hieß Gunhild Berg. Ehe sie das Gemälde in Wellpappe einschlug, stand sie lange da. Schließlich sagte sie ernst: »Dieses Gemälde wollte ich bisher nicht verkaufen. Bis jetzt nicht. Ich bin fünfundachtzig Jahre alt und habe keine Erben. Deswegen
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