Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Frau, für die ich den Computer erfand

Die Frau, für die ich den Computer erfand

Titel: Die Frau, für die ich den Computer erfand
Autoren: Friedrich Christian Delius
Vom Netzwerk:
das. Es ist bald drei, Sie werden müde, und mein Arzt sieht es nicht gern, wenn ich mich aufrege   … Erfindungshöhe, ein so schönes Wort eigentlich. Verstehen Sie jetzt, warum mir der Stoppelsberg so lieb geworden ist? Die höchste Erhebung zwischen Betrieb und Wohnung, hier hab ich mich immer auf der Höhe gefühlt, und hier fühle ich mich noch heute auf der Höhe. Hier sitze ich gewissermaßen auf einer Erfindungshöhe, hier wandere ich über eine Erfindungshöhe. Und unten im Tal, die können mich mal. Und wer mir meine Erfindungen klaut mit Paragraphen, der kann mich erst recht!   … Viele Erfindungen habe ich hier spazierengehend überdacht und durchdacht, mit einigen bin ich ja einwandfrei durchgekommen   … Ich weiß es noch wie heute, als mir mein Anwalt die Entscheidung des Gerichts mitteilte, da bin ich sofort ins Auto gestiegen, hab das Radio angedreht, so laut, bis es weh tat, Beethoven, ein Streichquartett, wenn ich mich richtig erinnere, und dreimal dürfen Sie raten, wo ich hingefahren bin   … Genau, und hier hab ich erst mal ein Jägerschnitzel gegessen. Es war ein Jägerschnitzel, ganz sicher. Ich fühlte mich verraten von der ganzen Welt, ich musste einfach essen, viel essen,verstehen Sie. So wie früher, wenn die Bomben fielen, dann wurde man hungrig. Je näher die Einschläge, desto stärker der Hunger   … Es waren sowieso keine rosigen Zeiten nach dem Verkauf der Firma, und nun wurde auch noch meine Erfindung, die Erfindung des Jahrhunderts, zur Schnecke gemacht. Hier, in diesem Raum, hab ich vor Wut mein Jägerschnitzel gefuttert. Der balzende Auerhahn vom Auerhahn Bräu ist Zeuge, der hat mir zugesehen. Ich wollte nicht nur Enttäuschungen in mich hineinfressen. Himbeeren gab es nicht, ich hab noch Schmandkuchen oben drauf gegessen, so viel ich konnte, ich hab mir richtig den Bauch vollgeschlagen   …

(Point Alpha)
     
     
     
    Und dann bin ich durch die Gegend gekurvt, zwischen den Kegeln und rund um die Kegel, zwischen all diesen erloschenen Vulkanen, und in mir hat es gekocht und gebrodelt. Ich war nicht betrunken, da pass ich schon auf. Aber wahrscheinlich bin ich gefahren wie betrunken, auf den Landstraßen rund um den Wieselsberg, den Appelsberg und den Hübelsberg und bis zur Grenze hinter Rasdorf. Da gab es einen Aussichtspunkt, es gibt ihn noch, eine Art Hochsitz mit weitem Blick in die DDR, nach Thüringen hinein, in die östliche Rhön, nach Geisa hinunter   … Stimmt, damals haben wir Ostzone gesagt. Das war Point Alpha,der nur bei den Amis so hieß, die Bezeichnung kannten wir damals gar nicht, für uns war das immer nur die Rasdorfer Aussicht. Da konnte man auf einen Turm steigen und über den Grenzzaun und den Todesstreifen weit nach drüben schauen, auf die Dächer der Orte im Tal und auf die Grenzsoldaten mit den Fernrohren und Spähwagen und die Wachtürme an den Betonwegen, die im Zickzack durch die Wälder und Felder liefen. Hier begann das Rote Meer, von Geisa bis nach Wladiwostok und Shanghai   … Ich brauchte das ab und zu, die verlorene Einheit betrauern, diese Narbe mitten in der Rhön, die noch weh tat. Mir jedenfalls hat sie weh getan. Man hat die Leute im Osten bemitleidet und das Glück gepriesen, dass man im Westen gelandet war. Ein heißer Punkt im Kalten Krieg, Fulda Gap,   … Ja, Sie wissen das noch, aber die Kinder, die Kinder in zehn Jahren wissen das schon nicht mehr. Und wenn jemand noch eine Generation später mal dies Band abhört und verstehen will, wie es mir ergangen ist nach dem Schock mit der Erfindungshöhe, da oben bei Point Alpha, dann muss ich das erklären   … Selbst wenn ich heute schon mal Fulda Gap gesagt habe, junger Mann, drängeln Sie mich nicht, nur weil Sie müde sind. Ich darf alles aussprechen, was mir einfällt, ich darf mich wiederholen, sooft es mir passt, und Sie dürfen nachher kürzen, das sind die Regeln. Bitte, unterbrechen Sie mich nicht, bleiben Sie geduldig! Also, für die jungen Leute muss ich erklären,das war der westlichste Punkt des ganzen Ostblocks, hier hat man im Fall des Falles einen Angriff aus dem Osten erwartet. Fulda Gap, die Fuldaer Lücke, gutes Gelände zum Einmarschieren Richtung Frankfurt oder Ruhrgebiet. Und zur Verteidigung hätte man hier im Fall des Falles auch die taktischen Atomwaffen eingesetzt, das war kein Geheimnis. Dann wäre der ganze schöne Stoppelsberg und meine Firma, dann wären wir alle weggeschmolzen, dann hätte es sich ausgekegelt in der Rhön. Dann hätte
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher