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Die Frau, für die ich den Computer erfand

Die Frau, für die ich den Computer erfand

Titel: Die Frau, für die ich den Computer erfand
Autoren: Friedrich Christian Delius
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runterschalten, ob wir überhaupt verlangsamen können. Sehn Sie, sag ich dann Ihren Kollegen von der Drei-Minuten-Abteilung, ich habe einiges dazu beigetragen, die Rechenleistungen zu vervielfachen und die Welt schneller zu machen. Jetzt erlaube ich mir den Luxus, nicht so dumm zu werden wie Herr Faust, der nie genug kriegen konnte, dem alles nicht schnell genug ging. Der Goethe lässt den Trottel Faust blind und dumm sterben, das soll ja wohl der Abschreckung dienen. Also, langsamer werden! Intensivierung statt Maximierung!   … Wissen Sie, eins möcht ich noch loswerden, ehe Sie mir einschlafen. Damals, als ich angefangen habe, in den dreißiger Jahren, war ich für die Abschaffung der Sklaverei, derSklaverei der Rechenknechte in Industrie und Verwaltung. Heute bin ich auch für die Abschaffung der Sklaverei, nämlich für die Abschaffung von der Abhängigkeit von einer Software, die nicht mehr produktiv ist, sondern destruktiv und mehr Bürokratie und Kontrolle und dumme Beamte produziert. Hören Sie sich mal um im Land! In allen Betrieben, allen Branchen, allen Behörden der Wahn des Kontrollierens, wie bei Lenin, nur viel feiner. Da wird nach der Rendite hinterm Komma gesucht, mit was für einem Aufwand! Gegen Sklaverei bin ich ganz entschieden, gegen die von früher und gegen die von heute   … Ja, das andere Extrem   … Glauben Sie bloß nicht, dass ich das nicht kenne, das Gejammere über die Entwicklung, die der Computer genommen hat. Die digitale Gesellschaft, die Tyrannei der Rechner und so weiter, all diese fetten Überschriften, diese feisten Begriffe   … Die Beschwerden über den Siegeszug des binären Denkens, damit hätte sich die Welt reduziert angeblich auf Ja und Nein, Schwarz und Weiß, Gut und Böse, Entweder Oder, In und Out. So sei das Leben nicht. Das wird sogar mir vorgehalten manchmal, als hätte ich das je behauptet   … Als wäre es die Schuld der Ingenieure, wenn die Leute mit ihrem Leben nicht mehr zurechtkommen   … Und dass wir aufpassen müssen, das Lernen nicht verlernen und nicht zu Sklaven der Maschinen werden, das sag ich ja selber. Aber sollen wir deshalb den Stecker rausziehen und uns in die Höhlen der Steinzeitverkriechen? Ich frage dann zurück: Kennen Sie Lewis und Clark?   … Keiner weiß es, Sie auch nicht, ich seh schon   … Sie wollen gebildet sein und ein Freund der USA   … Nein, keine Techniker, keine Erfinder. Nein, das waren die ersten beiden, die vom Mississippi aus, von St.   Louis in den Wilden Westen gezogen sind, durch das ganze riesige Land über alle Gebirge und Steppen bis Kalifornien, im Auftrag Jeffersons, der das Riesenreich westlich des Mississippi gerade den Franzosen abgekauft hatte, weit mehr als die Hälfte der heutigen USA, für den berühmten Apfel und das berühmte Ei. Napoleon brauchte Soldaten, der Dummkopf, er hätte ohne eine einzige Schlacht der Herrscher Nordamerikas sein können   … Also, Lewis und Clark haben mit den Wilden, den Indianern, Kontakt aufgenommen, mit relativ friedlichen Absichten, und Papiere vom großen weißen Häuptling in Washington verschenkt   … Hören Sie zu, junger Mann? Lassen Sie mich mal ein, zwei Minuten auf den wilden Karl-May-Wegen reiten! Bin gleich fertig. Kurz danach die Abenteurer und hinterher die Landbesetzer, und zwei, drei Jahrzehnte später werden die Indianer ausgerottet bekanntlich, ganze Völker weggemetzelt. Clark wird depressiv, Lewis war schon tot, oder umgekehrt, spielt jetzt keine Rolle. Soll man nun, frag ich meine Frager, Lewis und Clark dafür verurteilen, dass sie so mutige Entdecker waren? Die ganze Geschichte Amerikas zurückdrehen? Was meinen Sie?   … Oder Kolumbusbestrafen für Cortez und Pizzaro? Oder Jesus für die Kreuzzüge und den Dreißigjährigen Krieg?   … Oder ist es Ihnen lieber, wenn ich depressiv werde?   … Hören Sie mich?   …

(Das Band hört zu)
     
     
     
    Tatsächlich, eingeschlafen. Mitten im Wilden Westen. Da hat er eben noch mit letzter Kraft eine neue Kassette eingelegt, und dann kann er den Kopf nicht mehr halten und schläft ein   … So was von respektlos!   … Das Band läuft weiter, das Band hört zu, wenigstens das   … Und Sie werden sich schämen, wenn Sie wieder aufwachen, dass Sie vor mir eingeschlafen sind. Dass Sie nicht durchgehalten haben, Sie Versager!   … Nichts. Nicht mal beschimpfen lassen Sie sich! Typisch, jetzt, wo ich rede, was keiner hören will, über die neue Sklaverei der Software, da schlafen
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