Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Frau, für die ich den Computer erfand

Die Frau, für die ich den Computer erfand

Titel: Die Frau, für die ich den Computer erfand
Autoren: Friedrich Christian Delius
Vom Netzwerk:
und gegen die ich mich nicht mehr wehren will und nicht mehr wehren kann – außer mit einer Absage aus Gesundheitsgründen zwei Tage vorher. Und das Schlimmste, nein, das Komischste ist eigentlich, dass ich meine eigenen Reden nicht mehr hören kann oder nicht mehr hören will. Ich kann nichts Neues mehr sagen, in dem Rahmen nicht, wo alles so künstlich und feierlich und weihevoll ist, bei einem Festakt kann ich nichts Neues mehr sagen, obwohl ich noch einiges zu sagen habe oder zu sagen hätte, was ich noch nie gesagt habe   … Nein, aber darum hab ich Ihrer Drängelei nachgegeben, deshalb hab ich Sie erhört, sozusagen, Ihre Anfrage wegen eines ausführlichen Interviews, eines langen Gesprächs. Erhört, das klingt anzüglich, oder?   … Sei’s drum, redigieren Sie das weg, meinetwegen. Streichen Sie, was Sie wollen   … Hauptsache, Sie kapieren, dass ich endlich mal, wie soll ich sagen,anders reden will. Keine Frackrede, keine Krawattenrede, sondern eher im Arbeitskittel, verstehen Sie? Ich will wenigstens den Versuch machen   … Nein! Bloß nicht schreiben! Nie wieder! Einmal Memoiren, das ist Strafarbeit genug. Was das an Kraft kostet, sag ich Ihnen, nie wieder. Da nimmt man Rücksicht, da lässt man so viel weg, da mogelt man sich durch, da stellt man sich, ob man will oder nicht, aufs Podest, wo man vielleicht objektiv hingehört, aber das ist einem trotzdem peinlich, und dann untertreibt man wieder, was auch falsch ist, es ist eine höllische Arbeit. Nein, ich traue den Autobiografien nicht, nicht mal meiner eigenen. Da nehm ich mir doch lieber vor, eine ganze Nacht vor einem Recorder zu sitzen, sieben, acht, zehn, zwölf Stunden reden und sich ausfragen lassen. Was ist das schon gegen wochenlanges, monatelanges, jahrelanges Schreiben und Verwerfen und Verbessern und Verschlechtern, nie wieder freiwillig so eine Tortur. Einen ganzen Abend und eine ganze Nacht, das ist doch menschlich, finden Sie nicht? Menschlicher als die eigenen Erinnerungen geradezubiegen und auf Zeilen zu quetschen. Lieber Schwung holen und in einem großen Bogen festhalten, was ich vielleicht noch zu sagen oder zu ergänzen habe. Ich werd versuchen, mich nicht allzu oft zu wiederholen, das ist versprochen. Aber den großen Bogen, den inneren Bogen, die Gefühle   … Genau: laut denken, ohne Rücksicht, ohne allzu viel Rücksicht. Das bin ich mir und meinemAlter noch schuldig. Und vor allen Dingen einer Frau bin ich das schuldig. Der Frau, die keiner kennt. Der Frau, für die ich den Computer erfunden habe   … Nein, dazu später, haben Sie Geduld   … Dafür brauch ich Sie, hab ich beschlossen, ganz einfach. Ich brauch Ihr Mikrofon auf dem Tisch und nicht die Braunschweiger Mikrofone auf einem blumengeschmückten Rednerpult. Vor Oberbürgermeistern, Ministern und Professoren könnte ich von der Frau gar nicht reden, von einer heimlichen Liebschaft sowieso nicht   … So ist es, wir machen uns unsern eigenen Festakt hier auf fünfhundert Meter Höhe, auf der Terrasse. Wir feiern mein Schuleschwänzen, Prost!   … Ich hoffe auf Ihre gefällige Kooperation   … Aber seien Sie vorsichtig, ich hab Sie gewarnt, ich bin bester Laune   …

(Nichts gegen Feinschmecker)
     
     
     
    Suchen Sie sich erst mal was zu essen, die Karte ist kurz, die Küche einfach und herzhaft, wie man so sagt. Ich werde Jägerschnitzel bestellen mit Kroketten. Das nehme ich hier immer. So groß ist die Auswahl nicht, so doll ist die Küche nicht, aber das Jägerschnitzel, immer zuverlässig mittelmäßig   … Ich weiß auch nicht, warum das Jägerschnitzel so einen schlechten Ruf hat bei den Feinschmeckern. Da ist bestimmt dieser Kochpapst aus Hamburg schuld, der gegen das Jägerschnitzel zu Felde zieht seit Jahrzehnten undnur die französische Küche gelten lässt und die italienische. Das Jägerschnitzel wird systematisch verkannt und verleumdet, und Sie kennen mich ja ein bisschen, Sie haben meine Memoiren gelesen, das haben Sie jedenfalls behauptet. Dann verstehen Sie, dass einer, der selber verkannt und verleumdet wurde ungefähr dreißig Jahre lang, verkannt als Erfinder und verleumdet als Spinner, dass einer wie ich für das verkannte und verleumdete Jägerschnitzel eine bestimmte, sagen wir, verwandtschaftliche Vorliebe hegt   … Scherz beiseite, aber eins steht fest: Wenn ich mit Geschäftspartnern essen gehe und was erreichen will, darf ich auf keinen Fall Jägerschnitzel bestellen oder gar Eisbein, dann bin ich schon unten
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher